MoR 02 - Eine Krone aus Gras
kleine Verbeugung, und er zog sich rückwärts gehend bis zu Orobazos’ Sitzplatz zurück. Erst dort wandte er sein Gesicht von Sulla ab.
Die Berichterstattung nahm einige Zeit in Anspruch. Orobazos und die anderen hörten mit ernsten und undurchdringlichen Mienen zu. Dann wandte sich der Astrologe wieder Sulla zu, verbeugte sich bis zum Boden in seiner Richtung und brachte das ungewöhnliche Kunststück fertig, die Plattform zu verlassen, ohne daß Sulla von seinem Gesicht mehr als den Hut zu sehen bekam.
Sullas Herz hatte heftig zu klopfen begonnen, als der Nabopolassar sein Urteil verkündete. Aber als der chaldäische Seher wie ein Wurm von der Plattform kroch und seinen Platz am Boden wieder einnahm, spürte Sulla Freude in sich aufsteigen. Was immer er gesagt hatte, er hatte offenbar Sullas eigene Worte bestätigt, daß er, Sulla, ein großer Mann sei. Und er hatte sich vor Sulla so tief verbeugt wie vor seinem König.
»Der Nabopolassar sagt, daß du der größte Mann der Welt bist, Lucius Cornelius, und daß dir niemand zwischen dem Indusstrom im Osten und dem Okeanos im Westen gleichkommen wird, solange du lebst. Wir müssen ihm glauben, denn der Seher hat damit auch unserem König Mithridates einen geringeren Rang zugewiesen als dir. Damit hat der Seher sein Leben riskiert.« In Orobazos’ Stimme lag ein neuer Ton.
Selbst Tigranes starrte Sulla nun ehrfürchtig an, wie dieser feststellte.
»Können wir jetzt unsere Unterredung fortsetzen?« fragte Sulla. Er veränderte weder seinen Tonfall noch seine Körperhaltung.
»Bitte, Lucius Cornelius.«
»Nun gut. Ich habe bereits erklärt, weshalb mein Heer hier ist, aber noch nicht, welche Botschaft ich für König Tigranes hatte. Kurz gesagt, ich habe ihn aufgefordert, auf seiner Seite des Euphrat zu bleiben, und ich habe ihn davor gewarnt, die ehrgeizigen Pläne seines Schwiegervaters in Pontos weiter zu unterstützen — ob sich diese Pläne nun auf Kappadokien, Kilikien oder auf Bithynien richten. Und nachdem ich ihm das mitgeteilt hatte, trat ich den Rückmarsch an.«
»Glaubst du, Lucius Cornelius, daß der König von Pontos Pläne hat, die über Anatolien hinausgehen?«
»Ich glaube, daß er die ganze Welt will, Fürst Orobazos! Er ist bereits absoluter Herr über die östliche Hälfte des Schwarzen Meers von Olbia am Hypanis bis Kolchis am Phasis. Er hat sich die Herrschaft über Galatien verschafft, indem er dessen Anführer massenweise töten ließ, und er hat mindestens einen kappadokischen König ermordet. Ich bin ganz sicher, daß er den Überfall Kappadokiens geplant hat, den König Tigranes dann ausführte.« Sulla beugte sich vor, und seine hellen Augen leuchteten. »Das ist ein weiterer Grund unseres Treffens: Die Entfernung zwischen Pontos und dem Königreich Parthien ist viel geringer als die zwischen Pontos und Rom. Deshalb denke ich, daß der König der Parther seine Grenzen gut bewachen sollte, solange der König von Pontos Eroberungsgelüste verspürt. Und er sollte auch auf seinen Unterkönig Tigranes von Armenien streng aufpassen.« Sulla zauberte sein charmantestes Lächeln hervor. Die Wolfszähne entblößte er nicht. »Das ist alles, Fürst Orobazos, was ich zu sagen habe.«
»Du hast gut gesprochen, Lucius Cornelius«, sagte Orobazos. »Du bekommst deinen Vertrag. Rom ist für alle Gebiete westlich des Euphrat zuständig und der König der Parther für alle Gebiete östlich des Euphrat.«
»Das heißt, daß Armenien keine Ausflüge mehr nach Westen unternehmen wird?«
»Genau das heißt es«, sagte Orobazos und starrte den verärgerten und enttäuschten Tigranes wütend an.
Endlich, dachte Sulla, als die Parther das Podium verließen — gefolgt von Tigranes, der stur auf den marmornen Boden starrte. Endlich weiß ich, wie sich Gaius Marius gefühlt haben muß, als ihm die syrische Seherin Martha die Zukunft voraussagte. Sie hat ihm vorausgesagt, daß er sieben Mal römischer Konsul werden und daß man ihn den dritten Gründer Roms nennen würde. Gaius Marius lebt noch! Und doch bin ich größter Mann der Welt genannt worden! Der ganzen Welt, von Indien bis zum Atlantik!
Während der folgenden Tage ließ Sulla sich nicht anmerken, wie ihm zumute war. Sein Sohn, der die Vorgänge aus der Entfernung verfolgt hatte, wußte nur, was er gesehen hatte, da er sich außerhalb der Hörweite befunden hatte. Tatsächlich war niemand aus Sullas Heer in Hörweite gewesen. Und Sulla berichtete nur über den Vertrag.
Der Vertrag
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