MoR 02 - Eine Krone aus Gras
gezackte Tiara des Königs war auf beiden Seiten oberhalb des Diadems mit einem achtstrahligen Stern und einem aus zwei Adlern gebildeten Halbkreis verziert. Er entdeckte, daß die Tiara in der Mitte hohl war und daß der König eine Glatze hatte. Tigranes, der seine tiefergelegene Position verabscheute, schob das Kinn vor und starrte wütend zu Sulla hinauf.
»Wie, König, hast du deinen Herren nichts erzählt?« fragte Sulla. Da er keine Antwort bekam, wandte er sich wieder an Orobazos und die anderen Griechisch sprechenden Parther. »Rom will dafür sorgen, Fürst Orobazos, daß gewisse Könige am östlichen Ende des Mittelmeers nicht so mächtig werden, um andere Könige vertreiben zu können. Rom ist mit dem Status quo in Kleinasien zufrieden. Aber König Mithridates von Pontos will das Königreich Kappadokien und andere Teile Anatoliens besitzen.
Dazu gehört auch Kilikien, das sich freiwillig unter römischen Schutz gestellt hat, weil der König von Syrien nicht mehr mächtig genug ist, für die Sicherheit Kilikiens zu sorgen. Aber euer Untertan König Tigranes unterstützt Mithridates — und vor nicht allzulanger Zeit fiel er tatsächlich in Kappadokien ein.«
»Davon habe ich gehört«, gab Orobazos hölzern zu.
»Ich kann mir vorstellen, daß der Aufmerksamkeit des Parther- königs und seiner Satrapen kaum etwas entgeht, Fürst Orobazos! Wie dem auch sei: Nachdem König Tigranes die schmutzige Arbeit für Pontos erledigt hatte, kehrte er nach Armenien zurück und hat seither das Westufer des Euphrat nicht mehr überschritten.« Sulla räusperte sich. »Meine traurige Aufgabe war es, den König von Pontos wieder einmal aus Kappadokien zu vertreiben. Diesen Auftrag des Senates und des Volkes von Rom habe ich in diesem Jahr ausgeführt. Aber mir schien, daß meine Aufgabe erst endgültig abgeschlossen sein würde, wenn ich mit König Tigranes gesprochen hätte. Deshalb machte ich mich auf den Weg von Eusebeia Mazaka nach Armenien, um ihn aufzusuchen.«
»Mit deinem ganzen Heer, Lucius Cornelius?« fragte Orobazos.
Sulla hob die eckigen Augenbrauen. »Aber gewiß! Ich kenne mich hier nicht gut aus, Fürst Orobazos. Deshalb habe ich mein Heer mitgenommen — eine reine Vorsichtsmaßnahme! Wir haben uns vollkommen korrekt verhalten, wie du sicherlich weißt — keine Überfälle, keine Plünderungen, keine Zerstörungen. Wir haben nicht einmal das Getreide auf den Feldern zertrampelt. Was wir brauchten, kauften wir. Das werden wir auch weiterhin tun. Betrachte mein Heer einfach als eine große Leibwache. Ich bin ein wichtiger Mann, Fürst Orobazos! Meine Laufbahn in der Regierung Roms hat ihren Zenit noch nicht erreicht, ich werde noch höher steigen. Deshalb erscheint es mir wichtig — und deshalb erscheint es Rom wichtig! —, gut auf Lucius Cornelius Sulla aufzupassen.«
»Einen Augenblick, Lucius Cornelius«, unterbrach Orobazos. »In meiner Begleitung befindet sich ein gewisser Chaldäer namens Nabopolassar. Er stammt nicht aus Babylon, sondern aus dem eigentlichen Chaldäa, von dort, wo der Euphrat in den Persischen Golf mündet. Er dient mir als Seher und Astrologe, und sein Bruder dient sogar König Mithridates von Parthien. Wir alle aus Seleukeia am Tigris glauben, was er sagt. Würdest du ihm erlauben, deine Hand zu lesen und in dein Gesicht zu blicken? Wir würden gerne selbst herausfinden, ob du wirklich ein so großer Mann bist, wie du behauptest.«
Sulla zuckte die Achseln und bemühte sich, gleichgültig auszusehen. »Das ist mir völlig egal, Fürst Orobazos. Soll dein Mann ruhig meine Hand und mein Gesicht untersuchen. Ganz wie du willst. Ist er hier? Soll er gleich anfangen? Oder muß ich mich an einen anderen Ort begeben?«
»Bleib, wo du bist, Lucius Cornelius. Nabopolassar wird zu dir kommen.« Orobazos schnippte mit den Fingern und rief der kleinen Gruppe von Parthern etwas zu, die vor dem Podium saß.
Ein Mann trat aus der Gruppe hervor. Er sah aus wie alle anderen und trug wie sie einen kleinen, runden, perlenbesetzten Hut, ein spiralenförmiges Halsband und goldgewirkte Kleider. Die Hände hatte er in die Ärmel gesteckt. Gelenkig sprang er die Stufen des Podiums hinauf und blieb dann auf der Treppe stehen, die zu Sullas kleinem Podest hinaufführte. Er zog eine Hand aus dem Ärmel und ergriff Sullas ausgestreckte rechte Hand. Längere Zeit las er vor sich hinmurmelnd eine Handlinie nach der anderen. Dann ließ er Sullas Hand fallen und sah in das Gesicht des Römers. Eine
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