MoR 02 - Eine Krone aus Gras
Unabhängigkeit versprochen. Doch wir haben sie betrogen, indem wir in ihren Gebieten Kolonien gründeten. Auf diese Weise haben wir ihnen die besten Teile ihres Landes genommen, ihnen aber zugleich die Rechte des Römers vorenthalten.«
Das Summen wurde stärker, aber es war noch nicht stark genug, Drusus’ Stimme zu übertönen. Ein Sturm zog auf, ein Schwarm Wespen kam näher. Drusus’ Mund war trocken, und er legte unauffällig Pausen ein, um seine Lippen zu befeuchten. Er durfte keine Nervosität zeigen. Und er mußte weiterreden.
»In Rom haben wir keinen König. Aber in Italien benimmt sich jeder Römer wie ein König. Denn wir lieben die Macht, und wir sehen unsere Untertanen gerne unter unseren königlichen Nasen kriechen. Wir spielen gerne König! Wenn die Italiker wirklich unsere Untertanen wären, gäbe es hierfür vielleicht eine Berechtigung, aber in Wahrheit sind die Italiker nicht unsere Untertanen. Sie sind Blut von unserem Blut. Und doch schmähen Mitglieder dieses hohen Hauses andere Mitglieder, indem sie ihnen ihr >italisches Blut< vorwerfen! Ich habe gehört, daß der große und ruhmreiche Gaius Marius ein Italiker genannt wurde. Und doch besiegte er die Germanen! Ich habe gehört, daß der edle Lucius Calpurnius Piso als Insubrer beschimpft wurde. Doch sein Vater fiel ruhmreich bei Burdigala! Ich habe gehört, daß der große Marcus Antonius Orator beschimpft wurde, weil er die Tochter eines Italikers zur zweiten Frau nahm. Und doch besiegte er die Piraten und war Zensor!«
»Ein schöner Zensor war er!« rief Philippus. »Er ließ zu, daß Tausende und Abertausende von Italikern das römische Bürgerrecht erhielten!«
»Willst du damit andeuten, Lucius Marcius, ich hätte dabei meine Finger im Spiel gehabt?« fragte Antonius Orator drohend.
»Genau das will ich, Marcus Antonius!«
Antonius Orator erhob sich. Er war ein großer und kräftiger Mann. »Komm mit nach draußen, Philippus, und sag das nochmal!«
»Ruhe! Marcus Livius hat das Wort!« sagte Sextus Caesar, der hörbar zu schnaufen begonnen hatte. »Lucius Marcius und Marcus Antonius, ihr haltet euch nicht an die Ordnung! Setzt euch wieder und seid still!«
Endlich konnte Drusus mit seiner Rede fortfahren. »Ich wiederhole: Die Italiker sind Blut von unserem Blut. Sie haben keinen geringen Anteil an unseren Erfolgen in Italien und im Ausland. Sie sind gute Soldaten, gute Bauern und gute Geschäftsleute, und sie sind reich. Ihr Adel ist ebenso alt wie der unsrige. Ihre Führer sind so gebildet wie die unsrigen, ihre Frauen so gepflegt und kultiviert wie die unsrigen. Ihre Häuser sehen aus wie unsere Häuser, und sie essen dasselbe wie wir. Sie trinken genauso gern Wein wie wir, und sie sehen aus wie wir.«
»Unsinn!« brüllte Catulus Caesar verächtlich und wies auf Gnaeus Pompeius Strabo aus Picenum. »Schaut euch doch den da mal an! Stubsnase und Haare wie Sand! Römer haben rote, gelbe, weiße Haare, aber niemals sandfarbene Haare! Er ist ein Gallier, kein Römer! Und wenn es nach mir ginge, würden er und alle anderen unrömischen Pilze, die hier in unserer geliebten Curia Hostilia im Dunkeln wuchern, herausgerissen und hinausgeworfen! Gaius Marius, Lucius Calpurnius Piso, Quintus Varius, Marcus Antonius, der unter seinem Stand geheiratet hat, jeder Pompeius, der je von Picenum hierherkam und Stroh frißt, jeder Didius aus Campania, jeder Pedius aus Campania, jeder Saufeius und Labienus und Appuleius — werft sie alle hinaus, sage ich!«
Ein Tumult brach aus. Catulus Caesar hatte es geschafft, durch direkte oder indirekte Namensnennung ein gutes Drittel der Senatoren zu beleidigen. Aber was er gesagt hatte, kam bei den anderen zwei Dritteln der Senatoren sehr gut an, und sei es auch nur, weil Catulus Caesar sie an ihre Überlegenheit als Römer erinnert hatte. Nur Caepio lächelte etwas gequält — Catulus Caesar hatte seinen Freund Quintus Varius genannt.
»Ich bestehe auf meinem Rederecht!« rief Drusus. »Und wenn wir hier sitzen, bis es dunkel wird: Ich bestehe auf meinem Rederecht!«
»Das hast du längst verspielt!« kreischte Philippus.
»Verspielt!« schrie Caepio.
»Marcus Livius hat das Wort! Wer ihn nicht sprechen läßt, wird hinausgeworfen!« rief Sextus Caesar. »Ordner! Rufe meine Liktoren herein!«
Ein Senatsbeamter rannte hinaus. Kurz darauf marschierten Sextus Caesars zwölf Liktoren in ihren weißen Togen herein, die fasces über den Schultern.
»Stellt euch hinter dem kurulischen Podium auf!«
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