MoR 02 - Eine Krone aus Gras
die Ärzte zu rufen.
»Sie lassen ihn nur zur Ader und geben ihm ein Abführmittel, und das ist das letzte, was er jetzt braucht«, erklärte sie resolut. »Er hat nur einen leeren Magen, das ist alles. Wenn er den Schock erst hinter sich hat, werde ich ihm ein wenig Wein mit Honig einflößen, dann kommt er schnell wieder zu sich. Vor allem muß er jetzt ausschlafen.«
Cornelia Scipionis ließ ihren Sohn in sein Bett legen und gab ihm einen ganzen Becher Wein mit Honig zu trinken.
»Philippus!« rief er und versuchte, sich aufzurichten.
»Mach dir um diese Kakerlake keine Sorgen, bis du dich stärker fühlst.«
Drusus nippte an dem Getränk und richtete sich dann mühsam auf. Er fuhr mit den Fingern durch sein dichtes schwarzes Haar. »Ach Mutter! Was für Schwierigkeiten! Philippus hat die Sache mit dem Eid herausgefunden.«
Scaurus hatte ihr berichtet, was vorgefallen war, sie brauchte ihn also nicht zu fragen. Sie nickte weise. »Du hast doch sicher damit gerechnet, daß Philippus oder jemand anders Fragen stellen würde?«
»Es ist schon so lange her, daß ich den verfluchten Eid ganz vergessen habe!«
»Marcus Livius, der Eid ist nicht so wichtig«, sagte die Mutter und rückte ihren Stuhl näher an das Bett. » Was du tust, ist viel wichtiger als das Warum — so ist es nun einmal im Leben! Die Gründe, warum du etwas tust, dienen nur dazu, dich selbst zu beruhigen, am Ergebnis ändern sie nichts. Das Ergebnis allein ist wichtig, und ich bin sicher, daß ein vernünftiges und gesundes Selbstvertrauen das beste Mittel zum Erfolg ist. Also Kopf hoch, mein Junge! Dein Bruder ist gekommen und will dich unbedingt sprechen! Kopf hoch!«
»Dafür werden mich alle hassen.«
»Einige werden dich hassen, das ist richtig. Vor allem aus Neid. Aber andere werden sich vor Bewunderung verzehren. Jedenfalls hast du die Freunde nicht verloren, die dich hergebracht haben.«
»Wer war dabei?« fragte Drusus neugierig.
»Marcus Aemilius, Marcus Antonius, Quintus Mucius und Gaius Marius. Ach ja, und natürlich dieser faszinierende Lucius Cornelius Sulla! Wenn ich nur etwas jünger wäre...«
Drusus kannte seine Mutter gut genug, daß er ihr diese Bemerkung nicht verübelte. Statt dessen lächelte er nur. »Seltsam, daß du ihn magst! Obwohl er sich natürlich für meine Pläne sehr interessiert.«
»Das habe ich schon bemerkt. Sein Sohn ist doch Anfang des Jahres gestorben, nicht wahr?«
»Ja.«
»Man merkt es ihm an.« Cornelia Scipionis erhob sich. »Ich schicke jetzt deinen Bruder herein, Marcus Livius, und dann mußt du etwas essen. Du bist nicht so sehr krank, daß dir Essen schaden könnte. Ich werde dir in der Küche etwas zubereiten lassen, etwas, das gut schmeckt und nahrhaft ist, und Mamercus und ich werden an deinem Bett sitzen und warten, bis du es aufgegessen hast.«
Drusus konnte sich erst wieder seinen Gedanken zuwenden, als es dunkel war. Er fühlte sich jetzt viel besser. Die entsetzliche Müdigkeit wollte nicht weichen, und trotz des Essens und des Weines konnte er nicht einschlafen. Es mußte Monate her sein, seit er zuletzt tief und erholsam geschlafen hatte.
Philippus hatte also alles herausgefunden. Es war unvermeidlich gewesen, daß jemand es herausfinden würde, und es war unvermeidlich gewesen, daß dieser jemand damit entweder zu Drusus oder zu Philippus gehen würde. Oder zu Caepio. Interessant, daß Philippus seinem lieben Freund Caepio nichts davon erzählt hatte! Caepio hätte versucht, die Sache an sich zu reißen, er hätte nicht zugelassen, daß Philippus diesen Sieg für sich allein verbuchte. Deshalb hatte Philippus sein Wissen für sich behalten. Im Hause des Philippus dürfte es heute abend kaum friedlich und freundschaftlich zugehen, dachte Drusus und lächelte, obwohl ihm eigentlich nicht danach zumute war.
Und nun, da Drusus begriffen hatte, daß der Eid entdeckt worden war, fand er endlich Ruhe. Seine Mutter hatte recht. Die öffentliche Verlesung des Eides hatte keinen Einfluß auf sein Tun, sie konnte nur seinen Stolz verletzen. Spielte es eine Rolle, wenn die Menschen unbedingt glauben wollten, er habe alles nur getan, um eine riesige Klientel zu bekommen? Warum sollten sie seine Motive für völlig uneigennützig halten? Es entsprach nicht dem römischen Charakter, persönliche Vorteile abzustreiten, und er war nun einmal ein Römer! Eigentlich hätten die Senatoren, die Führer der Volksversammlung und wohl auch der größte Teil der unteren Klassen sofort merken
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