MoR 02 - Eine Krone aus Gras
Erziehung kümmern müssen. Sie hätten seiner kleinen Tochter Aemilia Lepida, die noch unsicher auf ihren Beinchen stand, Gesellschaft leisten können. Mamercus hatte in den Monaten nach Drusus’ Tod alle Kinder liebgewonnen, selbst den schrecklichen kleinen Cato. Er mochte dessen unbeugsamen Charakter nicht, doch rührte es ihn zu fast Tränen, wie sehr Cato seinen Bruder Caepio liebte. So war es von Anfang an selbstverständlich, daß er sie aufnehmen würde — bis er sich um die Bestattung seiner Mutter gekümmert hatte, nach Hause kam und mit seiner Frau darüber sprach. Er war mit ihr erst fünf Jahre verheiratet und liebte sie sehr. Da es auf Geld nicht ankam, hatte er die Frau seines Herzens geheiratet in der Illusion, daß auch sie ihn liebte. Seine Frau, eine Claudia aus einer unbedeutenden Linie der Familie, zudem verarmt und verzweifelt, hatte ihn geheiratet, ohne ihn zu lieben. Und sie mochte keine Kinder, nicht einmal ihre eigene Tochter. Sie überließ sie den Kindermädchen, die die kleine Aemilia Lepida mehr verdarben als erzogen.
»Sie kommen mir nicht ins Haus!« zischte Claudia, ehe Mamercus noch recht ausgesprochen hatte.
»Aber sie müssen bei uns wohnen! Sie können sonst nirgendwohin!« Die Reaktion seiner Frau war ein weiterer Schock, und dabei hatte er den Schock über den Tod der Mutter noch nicht verwunden.
»Sie wohnen in einem riesigen und prächtigen Haus — wenn wir das Glück hätten! Sie haben so viel Geld, daß man nicht weiß, wohin damit. Stell ein Heer von Betreuern und Erziehern an und laß sie, wo sie sind.« Claudia kniff die Lippen zusammen und zog die Mundwinkel herab. »Schlag dir das aus dem Kopf, Mamercus! Sie kommen mir nicht ins Haus.«
Damit hatte sein Idealbild von ihr den ersten Sprung bekommen. Sie bemerkte das gar nicht. Mamercus blickte seine Frau aus erstaunten Augen an und kniff ebenfalls die Lippen zusammen: »Ich bestehe darauf.«
Sie zog die Augenbrauen hoch. »Du kannst darauf bestehen, bis sich Wasser in Wein verwandelt, Mann! Das ändert nichts. Sie kommen nicht hierher. Oder so: Wenn sie kommen, gehe ich.«
»Claudia, hab doch etwas Mitleid! Sie sind vollkommen allein!«
»Warum sollte ich Mitleid haben? Sie verhungern nicht, und es fehlt ihnen nicht an der Erziehung. Von denen weiß überhaupt keiner, was ein Verwandter ist. Die beiden Servilias sind so boshaft wie eingebildet, Drusus Nero ist ein Flegel, und die anderen sind Abkömmlinge eines Sklaven. Laß sie, wo sie sind.«
»Sie brauchen ein anständiges Zuhause«, sagte Mamercus.
»Sie haben ein anständiges Zuhause.«
Mamercus gab nach, aber nicht aus Schwäche. Er war ein praktisch denkender Mensch und wußte, daß es nicht ratsam war, sich über Claudias Willen hinwegzusetzen. Nach dieser Kriegserklärung wäre die Lage der Kinder noch schlimmer geworden, wenn er sie doch zu sich genommen hätte. Er konnte nicht täglich zu Hause bleiben, um zu verhindern, daß Claudia ihre Wut an ihnen ausließ.
Mamercus machte sich auf den Weg zum Senatsvorsitzenden Marcus Aemilius Scaurus, der wohl kein Aemilius Lepidus, aber der älteste Aemilius und der ganzen gens war. Und Scaurus war der Vollstrecker von Drusus’ letztem Willen und alleiniger Vollstrecker von Caepios Testament. Scaurus hatte also die Pflicht, für das Wohl der Kinder zu sorgen. Mamercus fühlte sich elend. Der Tod der Mutter war ein schlimmer Schlag für ihn gewesen, er hatte sie immer um sich gehabt. Cornelia Scipionis hatte bei ihm gelebt, bis sie zu Drusus ging, was sie ausgerechnet kurz nach der Hochzeit mit Claudia und ihrem Einzug getan hatte. Sie hatte sich über Claudia nie abfällig geäußert, aber rückblickend war sie wohl sehr froh gewesen, daß sich so ein günstiger Vorwand zum Auszug geboten hatte.
Als Mamercus am Haus von Marcus Aemilius Scaurus ankam, war seine Liebe zu Claudia verflogen, und es bestand keine Gefahr, daß ein anderes, ruhigeres Gefühl an ihre Stelle treten würde. Bis zu diesem Tag hätte er sich nicht träumen lassen, daß seine Liebe so plötzlich und so vollkommen verschwinden könnte, und doch klopfte er jetzt, erschüttert über den Tod der Mutter und ohne Liebe zu seiner Frau an Scaurus’ Tür.
Mamercus fiel es nicht schwer, Scaurus seine Zwangslage in den finstersten Farben auszumalen.
»Was soll ich machen, Marcus Aemilius?«
Der Senatsvorsitzende lehnte sich in seinem Stuhl zurück und sah mit seinen leuchtend grünen Augen fest in das Liviergesicht mit der Hakennase, den
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