MoR 02 - Eine Krone aus Gras
geht er nicht, das weißt du doch.« Mühsam kam er wieder auf die Füße.
»Ja, leider weiß ich das. Danke, Gaius Julius! Ich danke dir mehr, als ich sagen kann.« Sie untersuchte den Fleck am Arm. »Er hat dir wehgetan. Ich werde etwas darauflegen, damit es besser heilt.«
Die Augen füllten sich mit Licht und Leben, ein Lächeln breitete sich über das Gesicht, und Caesar war gerührt. »Ich weiß, wie es besser heilt, Tante Julia.«
»Wie denn?«
»Mit einem Kuß. Einem Kuß von dir, bitte.«
Er bekam viele Küsse und alles, was er sich zu essen wünschte, ein Buch und das Sofa in ihrem Arbeitszimmer zum Ausruhen. Julia ließ ihn erst nach Hause gehen, als Lucius Decumius ihn abholte.
Im weiteren Verlauf des Jahres, in dem sich das Kriegsglück schließlich zu Roms Gunsten gewendet hatte, wurden Gaius Marius und sein Begleiter zu einem festen Bestandteil im Bild der Stadt: der Knabe, der dem Mann half, der sich langsam immer besser selbst helfen konnte. Nach ihrem ersten Tag lenkten sie ihre Schritte zum Marsfeld, wo das Gedränge weniger dicht war, und im Laufe der Zeit erregten sie immer weniger Aufsehen. Marius wurde kräftiger, und sie gingen jedesmal ein Stück weiter, bis zu jenem triumphalen Tag, an dem sie bis zum Tiber und zum Ende der Via Recta kamen. Nach einer langen Rast schwamm Marius im Tiber nahe dem Trigarium, der Einfahrt für Dreiergespanne.
Von da an schwamm er regelmäßig, und sein Zustand besserte sich rascher als bisher. Bei ihren Ausflügen sahen sie fasziniert den Infanteristen und Berittenen zu, die entlang des Weges exerzierten. Marius fand, es war an der Zeit, daß Caesar eine erste militärische Ausbildung bekam. Endlich! Gaius Julius Caesar durfte endlich die Fähigkeiten erwerben, nach denen er sich schon so lange gesehnt hatte. Man hob ihn auf ein kleines, lebhaftes Pferd, und er erwies sich als geborener Reiter. Er bestand gegen Marius Zweikämpfe mit dem Holzschwert, bis der große Feldherr nichts mehr an ihm auszusetzen hatte. Dann zeigte Marius ihm, wie man mit einem richtigen Schwert umging und wie man das Pilum sicher ins Ziel warf. Als Marius sich im Wasser wieder mühelos bewegte, brachte er Caesar das Schwimmen bei. Und Caesar hörte andächtig zu, als Marius über ein ganz neues Thema sprach: über die Feldherrnkunst aus der Sicht eines Feldherrn.
»Die meisten Befehlshaber verlieren die Schlacht, noch ehe sie begonnen hat«, sagte Marius dem jungen Caesar, als beide in Leintücher gehüllt am Flußufer saßen.
»Wie das, Gaius Marius?«
»Sie machen vor allem zwei Fehler. Viele verstehen von der Kunst des Befehlens wenig. Sie halten es für ausreichend, wenn sie den Legionen zeigen, wo der Feind steht, und den Rest den Soldaten überlassen. Andere haben lauter Handbücher und die Ratschläge ihrer Befehlshaber aus der Kadettenzeit im Kopf. Sie halten sich strikt an die Bücher, auch wenn sie sich damit eine Niederlage einhandeln. Aber jeder Feind, jeder Feldzug, jede Schlacht ist einzigartig, Gaius Julius! Man muß mit Respekt vor ihrer Einzigartigkeit an sie herangehen. Wenn du in der Nacht vor der Schlacht in deinem Kommandozelt sitzt, mach dir unbedingt auf einem Stück Pergament einen Plan. Aber hüte dich, den Plan als endgültig und abgeschlossen zu betrachten. Den eigentlichen Plan machst du erst, wenn du den Feind siehst, wenn du am Morgen der Schlacht die Lage einschätzen kannst, wenn du die Schlachtordnung des Feindes kennst und weißt, wo seine Schwächen liegen. Dann entscheidest du! Fertige Rezepte schmälern immer die Chancen. Und auch im Verlaufe der Schlacht kann sich noch viel ändern, denn jeder Moment ist einzigartig! Vielleicht schlägt die Kampfmoral deiner Männer plötzlich um, ist das Gelände schneller aufgeweicht als erwartet, vielleicht hält der feindliche Feldherr eine Überraschung bereit oder zeigen sich Mängel und Schwächen in deinem Plan oder im Plan deines Feindes.« Marius geriet ins Schwärmen.
»Läuft eine Schlacht niemals so ab, wie man es in der Nacht zuvor geplant hat?« fragte Caesar mit leuchtenden Augen.
»Das ist durchaus schon vorgekommen! Aber so selten, wie Hühnern Zähne wachsen, Caesar. Merk dir stets: Egal was du geplant hast und wie kompliziert der Plan auch ist, sei darauf gefaßt, daß du ihn schlagartig ändern mußt! Und noch eine Perle der Weisheit, Junge: Mach deine Pläne möglichst einfach. Einfache Pläne funktionieren immer besser als taktische Ungeheuer, und sei es nur aus dem Grund, daß
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