MoR 02 - Eine Krone aus Gras
du als Feldherr deinen Plan notgedrungen über die Befehlskette weitergeben mußt. Mit jedem Schritt die Stufenleiter hinab und vom Feldherrn weg verliert der Plan an Präzision.«
»Das bedeutet, daß der Feldherr einen gut eingespielten Stab und eine perfekt ausgebildete Armee braucht«, sagte der Junge nachdenklich.
»Unbedingt!« rief Marius. »Deshalb findet ein guter Feldherr vor der Schlacht immer noch Zeit, vor den Truppen eine Ansprache zu halten. Nicht um die Moral zu heben, Caesar, sondern um den einfachen Soldaten zu erklären, was er vorhat. Wenn sie wissen, was er vorhat, können sie die Befehle, die von der Spitze kommen, richtig interpretieren.«
»Das setzt voraus, daß man seine Soldaten kennt, nicht wahr?«
»Allerdings. Und es setzt voraus, daß man dafür sorgt, daß sie ihren Feldherrn kennen. Und daß sie ihn lieben. Wenn die Männer ihren Feldherrn lieben, dann kämpfen sie besser und gehen größere Risiken ein. Vergiß nie, was Titus Titinius auf der Rostra gesagt hat: Nenn deine Männer, wie du willst, aber gib ihnen niemals das Gefühl, daß du sie verachtest. Wenn du deine einfachen Soldaten kennst und sie dich kennen, kannst du mit zwanzigtausend römischen Legionären hunderttausend Barbaren besiegen.«
»Du warst Soldat, bevor du Feldherr wurdest.«
»Allerdings. Ein Vorteil, den du wohl nie haben wirst, Caesar, denn du bist ein patrizischer römischer Adeliger. Und trotzdem sage ich dir, daß du nie ein richtiger Feldherr wirst, wenn du nicht Soldat gewesen bist.« Marius beugte sich vor, blickte bis weit über den Tiber am Trigarium hinaus und über das gepflegte Grasland der vatikanischen Ebene hinweg. »Die besten Feldherren sind immer erst Soldaten. Schau dir Cato den Zensor an. Wenn du alt genug bist, um Kadett zu werden, dann drück dich nicht hinter den Linien beim Befehlshaber herum, stell dich in die Frontlinie und kämpfe! Vergiß den Adel. Verwandle dich bei jeder Schlacht in einen einfachen Soldaten. Wenn dich dein Kommandant lieber zum Meldereiter machen will, sag ihm, du wollest lieber kämpfen. Er wird dich lassen, denn so etwas hört er selten von Leuten seines Ranges. Du mußt als gewöhnlicher Soldat kämpfen, Caesar. Wie willst du sonst begreifen, was deine Soldaten an der Frontlinie tun, wenn du das Kommando hast? Woher sollst du wissen, wovor sie Angst haben, was sie durcheinanderbringt und was sie aufmuntert? Wann sie losstürmen wie die Stiere? Und ich sage dir noch etwas, Junge!«
»Was?« fragte Caesar begierig. Er hatte jedes Wort mit angehaltenem Atem in sich aufgesogen.
»Es ist Zeit, daß wir nach Hause gehen!« Marius lachte — bis er das Gesicht des Jungen sah. »Jetzt schau nicht so hochnäsig, Junge!« bellte er, verärgert darüber, daß sein Scherz platt wirkte und Cäsar wütend war.
»Mach dich nicht über mich lustig, wenn es um so etwas Wichtiges geht«, sagte der Junge so sanft und freundlich, wie Sulla es in einem ähnlichen Augenblick getan hätte. »Ich meine das ernst, Gaius Marius! Du bist nicht hier, um mich zu unterhalten. Bis ich alt genug bin, um Kadett zu werden, will ich von dir alles hören, was du weißt. Dann habe ich eine bessere Grundlage als alle anderen. Und ich werde nie aufhören zu lernen! Also laß deine dummen Spaße und behandle mich wie einen Mann!«
»Aber du bist kein Mann«, sagte Marius lahm. Der heftige Ausbruch hatte ihn verwirrt, und er wußte nicht, wie er darauf reagieren sollte.
»Wenn es ums Lernen geht, bin ich mehr Mann als alle Männer, die ich kenne, dich eingeschlossen!« Caesar hatte die Stimme erhoben. Mehrere Gesichter blickten naß und zitternd zu ihnen herüber. Selbst wenn er vor Wut raste, blieb er geistesgegenwärtig. Er warf einen Blick auf die Nachbarn und stand mit geblähten Nüstern und zusammengekniffenen Lippen abrupt auf. »Ich habe nichts dagegen, wenn Tante Julia mich wie ein Kind behandelt«, sagte er jetzt ganz ruhig. »Aber wenn du mich wie ein Kind behandelst, Gaius Marius, bin ich tödlich beleidigt. Das lasse ich nicht zu, merk dir das!« Er streckte die Hand aus, um Marius aufzuhelfen. »Komm, wir gehen nach Hause. Für heute bin ich mit meiner Geduld am Ende.«
Marius ergriff die Hand und ging ohne ein Widerwort nach Hause.
Es erwies sich als glücklicher Entschluß. An der Tür nahm sie Julia in Empfang, die angstvoll auf sie gewartet hatte. Auf Julias Gesicht entdeckten sie Spuren von Tränen.
»Oh, Gaius Marius, etwas Schreckliches!« rief sie und vergaß ganz,
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