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MoR 02 - Eine Krone aus Gras

Titel: MoR 02 - Eine Krone aus Gras Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Colleen McCullough
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sich Gaius Marius. Glühender Zorn erfüllte Sulla, aber das durfte er keinem einzigen Menschen zeigen, nicht einmal Gaius Marius. Sulla wandte sich zu Gaius Marius um und verneigte sich ebenfalls. Daraufhin wurde die Begeisterung der Menge geradezu hysterisch, die Menschen schrien und brüllten vor Freude, Tränen liefen ihnen über die Wangen. Als Sulla sich dann nach links drehte, um am Tempel des Saturn entlangzugehen und den Kapitolhügel zu ersteigen, nahm Gaius Marius seinen Platz unter den Männern mit den purpurgesäumten Togen ein, den Jungen an seiner Seite. Es ging ihm viel besser, den linken Fuß zog er kaum noch nach, und die linke Hand konnte er offen zeigen. Er hielt die schweren Falten der Toga mit der Linken hoch, damit alle Menschen sehen konnten, daß sie nicht mehr zusammengeballt und verkrümmt war. Das schiefe Lächeln konnte er leicht dadurch verbergen, daß er ernst blieb.
    Dafür würde er Gaius Marius vernichten, dachte Sulla. Gaius Marius hatte gewußt, daß das Sullas Tag war, und dennoch konnte Gaius Marius der Versuchung nicht widerstehen, ihm vor Augen zu führen, daß Rom immer noch Gaius Marius gehörte, daß er — ein patrizischer Cornelius! — im Vergleich zu Gaius Marius, einem italischen Bauern ohne Griechischkenntnisse, weniger als Staub war, daß die Liebe des Volkes nicht Sulla gehörte, daß er nie die Höhe eines Gaius Marius erklimmen konnte. Das mochte alles tatsächlich so sein, aber er, Sulla, würde Gaius Marius dafür vernichten. Gaius Marius war der Versuchung erlegen, ihm all das an seinem Tag zu zeigen. Wenn Gaius Marius sich entschlossen hätte, am nächsten Tag ins öffentliche Leben zurückzukehren oder an irgendeinem anderen Tag, dann hätte er ihn in Frieden gelassen. Aber nun würde Sulla ihm das Leben zur Hölle machen, er würde Gaius Marius vernichten. Nicht durch Gift. Nicht durch das Messer. Er würde es seinen Nachkommen unmöglich machen, sein Bildnis beim Leichenzug der Familie mitzutragen, er würde den Namen Gaius Marius für alle Zeit schänden.
    Irgendwie ging dieser schreckliche Tag vorüber. Der neue Konsul Sulla wirkte froh und stolz, als er auf der einen Seite des Tempels des Jupiter Optimus Maximus stand, mit demselben breiten und geistesabwesenden Lächeln im Gesicht, das auch die Statue des großen Gottes trug. Er sah zu, wie die Senatoren Gaius Marius huldigten, und dabei haßten ihn die meisten von Herzen. Allmählich begriff Sulla, daß Marius in aller Unschuld getan hatte, was er getan hatte — daß er gar nicht bedacht hatte, er könnte Sulla seinen Tag stehlen, sondern einfach die hervorragende Gelegenheit für sein Wiedererscheinen im Senat ergriffen hatte — diese Erkenntnis reichte nicht aus, Sullas Zorn zu besänftigen oder seinen Schwur zu mildern. Er wollte diesen schrecklichen alten Mann vernichten. Marius’ unfaßliche Gedankenlosigkeit machte alles noch schlimmer. In Marius’ Gedanken spielte Sulla eine so verschwindend geringe Rolle, daß er nicht einmal als Schatten in seinem eigenen Spiegelbild erschien. Und dafür sollte Marius teuer bezahlen.
    »W-w-wie konnte er es wagen!« flüsterte Metellus Pius Sulla zu, als die Versammlung beendet war und Staatssklaven das Festmahl herbeitrugen. »Er ha-ha-hat es absichtlich gemacht!«
    »Natürlich hat er es absichtlich gemacht«, log Sulla.
    »Ma-ma-machst du nichts dagegen?« fragte Metellus Pius, den Tränen nahe.
    »Beruhige dich, Ferkel, du stotterst«, sagte Sulla und nannte ihn bei dem verhaßten Namen, doch in einem Tonfall, gegen den das Ferkel nichts einwenden konnte. »Vor diesen Dummköpfen lasse ich mir nicht anmerken, wie ich mich fühle. Sollen sie — und er — doch denken, daß ich ganz damit einverstanden bin. Ich bin der Konsul, Ferkel. Nicht er. Er ist nur ein kranker alter Mann, und er versucht etwas zurückzuerobern, was er für immer verloren hat.«
    »Quintus Lutatius ist fuchsteufelswild deswegen.« Metellus Pius bemühte sich, nicht zu stottern. »Siehst du ihn dort drüben? Er hat Marius gerade die Meinung gesagt, und der alte Heuchler hat doch tatsächlich behauptet, er habe es nicht so gemeint, stell dir das mal vor.«
    »Das habe ich nicht mitbekommen.« Sulla schaute in die Richtung, wo Catulus Caesar mit offensichtlich wütendem Stolz auf seinen Bruder, den Zensor, und auf den unglücklich dreinschauenden Quintus Mucius Scaevola einredete. Sulla grinste. »Quintus Mucius ist nicht der richtige Zuhörer, wenn jemand Gaius Marius

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