MoR 02 - Eine Krone aus Gras
Sätzen gemaßregelt, Lucius Cornelius Sulla tat es mit den Augen. Als ein paar Senatoren kicherten, wanderten die unheimlichen, blassen Augäpfel über die Reihen und suchten die Schuldigen. Die Erwartung, es werde einen Schlagabtausch mit Worten geben, wurde im Keim erstickt, das Gelächter verstummte abrupt, jedermann fand gute Gründe dafür, sich vorzubeugen und eine höchst interessierte Miene aufzusetzen.
»Keinem von uns kann entgangen sein, wie angespannt die finanzielle Lage Roms ist, und zwar sowohl im öffentlichen als auch im privaten Bereich. Die Stadtquästoren haben mir berichtet, daß wir keinen Staatsschatz mehr besitzen, und die zuständigen Tribunen haben mir die Summe der Schulden genannt, die Rom bei verschiedenen Institutionen und Einzelpersonen im italischen Gallien hat. Die Summe beträgt über dreitausend Silbertalente und steigt aus zwei Gründen jeden Tag weiter: erstens weil Rom noch immer gezwungen ist, von diesen Institutionen und Einzelpersonen Dinge zu kaufen; zweitens weil der Hauptausstand nicht bezahlt wird, weil die Zinsen nicht bezahlt werden und weil wir nicht immer in der Lage sind, die Zinsen für die nicht bezahlten Zinsen zu bezahlen. Das Geschäftsleben liegt darnieder. Diejenigen, die privat Geld verliehen haben, können weder ihre Schulden eintreiben noch ihre Zinsen, noch die Zinsen für die nicht bezahlten Zinsen. Und diejenigen, die Geld geliehen haben, sind in einer noch schlechteren Lage.«
Seine Augen ruhten nachdenklich auf Pompeius Strabo, der in der rechten vorderen Reihe nahe bei Gaius Marius saß und scheinbar unbeteiligt vor sich hin blickte. Sullas Augen schienen dem Senat zu sagen, daß da ein Mann saß, der sich ein wenig Zeit von seinen kriegerischen Unternehmungen hätte absparen sollen, um etwas gegen die sich rasch zuspitzende Finanzkrise zu unternehmen, besonders nachdem sein Stadtprätor gestorben war.
»Deshalb ersuche ich dieses Haus, einen Senatsbeschluß an das in seinen Tribus versammelte Volk zu richten, gegliederte Volksversammlung, und eine lex Cornelia folgenden Inhalts vorzuschlagen: Alle Schuldner, ob römische Bürger oder nicht, sind nur verpflichtet, einfache Zinsen zu zahlen, das heißt nur Zinsen auf das Hauptdarlehen, und zwar zu dem Zinssatz, den beide Parteien vereinbart haben, als das Darlehen gegeben wurde. Die Erhebung von Zinseszinsen ist verboten, ebenso die Erhebung von höheren Kapitalzinsen als ursprünglich vereinbart.«
Jetzt gab es Gemurmel, vor allem bei denen, die Geld verliehen hatten, aber die unsichtbare Drohung, die Sulla ausstrahlte, bewirkte, daß das Gemurmel bald verstummte. In seinen Adern floß unbestreitbar uraltes römisches Blut. Er hatte den Willen eines Gaius Marius, aber das Auftreten eines Marcus Aemilius Scaurus. Und irgendwie kam niemand, nicht einmal Lucius Cassius, auch nur einen Augenblick lang auf den Gedanken, Lucius Cornelius Sulla so zu behandeln, wie Aulus Sempronius Asellio behandelt worden war. Bei Sulla dachte einfach niemand an Mord.
»In einem Bürgerkrieg gewinnt niemand«, fuhr Sulla ruhig fort. »Der Krieg, den wir derzeit zum Abschluß bringen, ist ein Bürgerkrieg. Meine persönliche Ansicht ist, daß kein Italiker jemals Römer sein kann. Aber ich bin Römer genug, um die Gesetze zu respektieren, die kürzlich erlassen worden sind und durch die Italiker zu Römern werden. Es wird keine Kriegsbeute geben, niemand wird Rom eine Entschädigung zahlen, die ausreicht, daß man auch nur eine einzige Schicht Silberbarren auf den nackten Boden im Tempel des Saturn legen kann.«
»Beim Pollux! Glaubt er vielleicht, das sei Redekunst?« fragte Philippus die Umsitzenden.
»Schweig!« knurrte Marius.
»Die Schatzkammern der Italiker sind ebenso leer wie unsere.« Sulla ignorierte den kurzen Wortwechsel. »Die neuen Bürger, die in unseren Urkunden auftauchen werden, sind ebenso verschuldet und verarmt wie echte Römer. In einer solchen Zeit muß man irgendwo anfangen. Alle Schulden zu erlassen, ist undenkbar. Aber Schuldner können nicht ausgequetscht werden, bis sie tot umfallen. Mit anderen Worten: Ich halte es für recht und billig, daß beide Seiten der Leihaktion zufriedengestellt werden. Und genau das wird meine lex Cornelia versuchen.«
»Wie steht es mit Roms Schulden beim italischen Gallien?« fragte Marius. »Soll sich die lex Cornelia auch darauf erstrek- ken?«
»Aber natürlich, Gaius Marius«, sagte Sulla liebenswürdig. »Wir alle wissen, daß das italische Gallien sehr
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