MoR 02 - Eine Krone aus Gras
Gnaeus Octavius und Lucius Cinna einen heiligen Eid darauf schwören lasssen, daß sie sich an die jetzige Verfassung, wie Sulla sie auf den Tafeln niedergeschrieben hat, halten.«
»Ich bin einverstanden«, sagte Scaevola Pontifex Maximus.
»Ich auch«, sagte Flaccus Pnnceps Senatus.
Nacheinander erklärten Antonius Orator, der Zensor Lucius Caesar, der Zensor Crassus, Quintus Ancharius, Publius Servilius Vatia und Sulla ihr Einverständnis. Dann wandte Sulla sich an Scaevola. »Pontifex Maximus, willst du den neugewählten Konsuln diesen Eid abnehmen?«
»Ja.«
»Ich werde diesen Eid ablegen«, sagte Cinna laut, »wenn eine klare Mehrheit im Senat dafür stimmt.«
»Dann soll der Senat abstimmen«, sagte Sulla sofort. »Wer für den Eid ist, stellt sich rechts von mir auf, wer dagegen ist, links.«
Nur wenige Senatoren traten auf Sullas linke Seite. Der erste war Quintus Sertorius, der vor Ärger zitterte.
»Das hohe Haus hat abgestimmt und seinen Willen eindeutig kundgetan«, sagte Sulla. Das wilde Tier war aus seinen Augen verschwunden. »Quintus Mucius, du bist der oberste Priester. Wie soll der Eid abgelegt werden?«
»Wie es geschrieben steht«, sagte Scaevola sofort. »Zunächst begleiten mich alle Senatoren zum Tempel des Jupiter Optimus Maximus, wo der Jupiterpriester und ich dem großen Gott ein Opfer bringen werden. Das Opfer wird ein zweijähriges Schaf sein.«
»Wie praktisch!« sagte Sertorius laut. »Ich wette, das Tier wartet schon auf uns, wenn wir auf dem Kapitol ankommen!«
Scaevola beachtete ihn nicht und fuhr fort: »Nach dem Opfer werde ich Lucius Domitius bitten, aus der Leber des Opfertieres die Zukunft zu lesen. Er ist der Sohn des verstorbenen Pontifex Maximus und hat mit dieser Angelegenheit direkt nichts zu tun. Wenn die Zeichen günstig sind, werde ich den Senat zum Tempel des Semo Sancus Dius Fidius führen, dem Gott des heiligen Treueschwurs. Dort — unter offenem Himmel, wo jeder Eid geschworen werden muß — werde ich die neugewählten Konsuln schwören lassen, daß sie sich an die leges Corneliae halten werden.«
Sulla erhob sich von seinem Amtsstuhl. »Dann fangen wir an, Pontifex Maximus.«
Die Zeichen standen günstig. Auf dem Weg vom Kapitol zum Tempel des Semo Sancus Dius Fidius sahen die Senatoren, wie ein Adler von links nach rechts über die Porta Sanqualis flog.
Cinna hatte jedoch nicht die Absicht, sich durch einen Eid an die Verfassung Sullas binden zu lassen, und er wußte auch genau, wie er seinen Eid ungültig machen konnte. Als die Senatoren zum Jupitertempel auf dem Kapitol stiegen, drängte er sich neben Quintus Sertorius und bat ihn, ihm einen ganz bestimmten Stein zu bringen. Dabei achtete er sorgfältig darauf, daß niemand sah, wie er mit Sertorius sprach, und niemand verstand, was er sagte. Als die Senatoren dann vom einen Tempel zum anderen zogen, ließ Sertorius den Stein unbemerkt in die Falten von Cinnas Toga gleiten. Den Stein an einen Ort zu befördern, wo Cinna ihn in die linke Hand nehmen konnte, war einfach, denn der Stein war klein, glatt und oval.
Cinna wußte seit seiner Kindheit wie jeder römische Junge, daß er nur unter freiem Himmel jene herrlich pathetischen Eide schwören durfte, die kleine Jungen so lieben — Schwüre ewiger Freundschaft und Feindschaft, geboren aus Angst und Wut, Wagemut und Enttäuschung. Denn die Götter des Himmels mußten Zeuge sein, wenn ein Eid geschworen wurde, sonst war der Eid nicht gültig und bindend. Wie alle seine Kameraden damals hatte Cinna das Ritual sehr ernstgenommen. Aber dann hatte er einen Jungen kennengelernt, den Sohn des Ritters Sextus Perquitienus, der sich, weil er in jener schrecklichen Familie aufwuchs, an keinen einzigen seiner Eide hielt. Die beiden waren gleichaltrig, und der Sohn des Sextus Perquitienus verkehrte normalerweise nicht mit Söhnen von Senatoren. Sie waren sich zufällig begegnet, und es war damals auch um einen Eid gegangen.
»Du brauchst dich nur an den Knochen der Mutter Erde festhalten«, hatte der Sohn des Sextus Perquitienus gesagt. »Dafür mußt du beim Schwören einen Stein in der Hand halten. Damit gibst du dich in die Hände der Götter der Unterwelt, da die Unterwelt aus den Knochen der Mutter Erde gebaut ist. Steine sind Gebeine!«
Als Lucius Cornelius Cinna jetzt schwor, die Gesetze Sullas zu respektieren, umklammerte er fest den Stein in seiner linken Hand. Als er fertig war, bückte er sich schnell zum Tempelboden, der mit Blättern, Steinen,
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