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MoR 02 - Eine Krone aus Gras

Titel: MoR 02 - Eine Krone aus Gras Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Colleen McCullough
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so viel über dem Minimum liegt, daß einerseits das Schatzamt zufrieden ist und andererseits für die Gesellschaft noch ein saftiger Profit herausspringt.«
    »Ich verstehe«, sagte Mithridates und schnaubte durch die Nase. »Und der Vertrag wird an die Firma vergeben, die am meisten bietet.«
    »So ist es.«
    »Was enthält nun das Gebot — die Summe, die ans Schatzamt gezahlt werden muß oder die ganze Summe einschließlich des saftigen Profits?«
    Der Kaufmann lachte. »Nur die Summe, die an den Staat gezahlt wird, mein Freund! Wieviel Profit die Gesellschaft zu machen gedenkt, ist ihre eigene Sache, die Zensoren fragen da nicht nach, das kannst du mir glauben. Sie sichten das Angebot, und die Firma, die das höchste Gebot macht, bekommt den Zuschlag.«
    »Kommt es auch vor, daß die Zensoren den Vertrag an eine Firma vergeben, die nicht das höchste Gebot gemacht hat?«
    »Soweit ich mich erinnere, ist das noch nie vorgekommen, mein Freund.«
    »Und das Ergebnis?« fragte Mithridates. »Sind die Kalkulationen der Gesellschaften realistisch, oder sind sie zu hoch gegriffen?« Aber er kannte die Antwort schon.
    »Na, was meinst du?« rief der Kaufmann bitter. »Die Steuerpächter stützen ihre Zahlen, soweit wir wissen, auf Schätzungen, die im Garten der Hesperiden und nicht im Kleinasien des Königs Attalos gemacht wurden! Wenn auch nur im kleinsten Bezirk und im unwichtigsten Gewerbe die Geschäfte schlecht gehen, brechen die Steuerpächter in Panik aus — denn dann ist die Summe, die sie dem Schatzamt schulden, plötzlich größer als das, was sie einnehmen! Wenn ihren Geboten realistische Schätzungen zugrundelägen, wären wir alle besser dran! Aber so ist es anders: Wenn wir keine Spitzenernte haben, wenn wir auch nur ein einziges Schaf beim Scheren oder Lammen verlieren und nicht jedes letzte Kettenglied, Stück Seil oder Stoff, jede Kuhhaut, jede Amphore Wein und jeden Scheffel Oliven verkaufen — dann fangen die Steuerpächter an, uns auszupressen, und alle müssen darunter leiden.«
    »Wie stellen sie das an?« Mithridates hatte auf seinen Reisen nirgends römische Militärlager gesehen.
    »Sie heuern kilikische Söldner aus Gegenden an, in denen selbst die wilden Schafe verhungern, und hetzen sie auf unser Volk. Ich kenne ganze Bezirke, die in die Sklaverei verkauft wurden, bis zur letzten Frau und zum letzten Kind, egal welchen Alters. Ich habe gesehen, wie auf der Suche nach Geld ganze Felder umgegraben und Häuser eingerissen wurden! Ach, mein Freund, wenn ich dir erzählen würde, was ich mit eigenen Augen gesehen habe — wie die Steuerpächter uns aussaugen — dir würden die Tränen kommen! Ernten werden beschlagnahmt, und der Bauer darf nur gerade so viel behalten, daß er und seine Familie essen und die nächste Saat ausbringen können. Herden werden halbiert, Läden und Marktbuden geplündert — und das Schlimmste ist, daß die Menschen praktisch gezwungen werden, zu lügen und zu betrügen. Wer das nicht tut, ist in seiner Existenz bedroht.«
    »Und diese Steuerpächter sind alle Römer?«
    »Römer oder Italiker«, erwiderte der Händler.
    »Italiker«, sagte Mithridates nachdenklich. Jetzt erwies es sich als Nachteil, daß er sieben Jahre seiner Kindheit in den pontischen Wäldern verbracht hatte. Seine Bildung wies, wie er schon zu Beginn seiner Erkundungsreise festgestellt hatte, in geographischen und wirtschaftlichen Dingen erschreckende Lücken auf.
    »Das sind im Grunde auch Römer«, erklärte der Händler, der den Unterschied zwischen Römern und Italikern selbst nicht genau kannte. »Sie stammen aus der Umgebung Roms, die Italien heißt. Davon abgesehen gibt es keinen Unterschied, soweit ich weiß. Sie reden alle Lateinisch, wenn sie zusammen sind, statt wie jeder anständige Mensch das, was sie zu sagen haben, auf Griechisch zu sagen. Und sie tragen diese furchtbaren, formlos zusammengenähten Tuniken — hier würde sich sogar ein Hütejunge schämen, so herumzulaufen. Kein Abnäher, keine eingeschlagene Falte, nichts, was dem Ding etwas Form und Sitz verpassen würde.« Der Händler strich selbstzufrieden über den weichen Stoff seiner griechischen Tunika. Er schien überzeugt, daß ihr Schnitt das Beste aus seiner eher kleinen und unvorteilhaften Statur mache.
    »Tragen sie nicht auch die Toga?« fragte Mithridates.
    »Manchmal. An Feiertagen, und wenn der Statthalter sie zu sich bestellt.«
    »Die Italiker auch?«
    »Weiß ich nicht«, sagte der Händler achselzuckend.

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