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MoR 02 - Eine Krone aus Gras

Titel: MoR 02 - Eine Krone aus Gras Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Colleen McCullough
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»Ich glaube schon.«
    Aus Gesprächen wie diesen bezog Mithridates seine Informationen, die meistens aus Haßtiraden gegen die Steuerpächter und ihre Günstlinge bestanden. Es gab in der Provinz Asia noch ein zweites einträgliches Geschäft, das nur von Römern betrieben wurde, und zwar das Verleihen von Geld zu Zinssätzen, die keiner, der Geld leihen wollte und noch einen letzten Rest Selbstachtung hatte, akzeptieren konnte und kein Verleiher mit einem letzten Rest von Skrupeln verlangen würde. Mithridates erfuhr auch, daß diese Geldverleiher gewöhnlich Angestellte der Steuerunternehmer waren, obwohl diese selbst daran nicht beteiligt waren. Die römische Provinz Asia, dachte Mithridates, ist für die Römer eine fette Gans, die sie rupfen — davon abgesehen haben sie kein Interesse an ihr. Die Römer kommen aus Rom und den Orten in der Umgebung Roms hierher, sie berauben die Bevölkerung und pressen sie aus, und dann fahren sie mit dicken Börsen wieder nach Hause, ohne sich um das Elend zu scheren, das sie den Menschen im dorischen und ionischen Kleinasien gebracht haben. Und wie verhaßt sie sind!
    Von Pergamon reiste der König landeinwärts, um den Weg durch eine unwichtige Landzunge namens Troas abzukürzen. Bei Kyzikos traf er auf die Südküste der Propontis, der er folgte, bis er in die bithynische Stadt Prusa kam. Dieser wohlhabende und rasch wachsende Ort lag am Fuß eines hohen und schneebedeckten Berges, der der mysische Olymp genannt wurde. Mithridates stellte lediglich fest, daß die Einwohner mit ihrem achtzigjährigen König nicht mehr viel anfangen konnten, dann reiste er in die Hauptstadt Nikomedeia weiter, wo der achtzigjährige König Hof hielt. Auch Nikomedeia war eine wohlhabende, große Stadt, die an einem breiten, ruhigen Meeresarm vor sich hinträumte; über ihr, auf einer kleinen Akropolis, thronten beherrschend der Tempelbezirk und der Palast.
    Nikomedeia war für einen pontischen König natürlich ein gefährliches Pflaster. Er konnte auf den Straßen der Stadt erkannt werden, etwa von einem Priester der weitgespannten Bruderschaft der Ma oder der Tyche oder von einem Besucher aus Sinope. Also mietete er sich in einem übelriechenden, in großer Entfernung von den besseren Stadtvierteln gelegenen Gasthaus ein und zog sich die Kapuze seines Umhangs ins Gesicht, wenn er ausging. Er hatte nichts weiter vor, als mit Einheimischen zu sprechen und herauszufinden, wie treu ergeben sie ihrem König Nikomedes waren und wie bereitwillig sie Nikomedes in einem eventuellen Krieg gegen Pontos unterstützen würden.
    Den Rest des Winters und das ganze Frühjahr verbrachte er mit Streifzügen zwischen Heraklea an der bithynischen Schwarzmeerküste und den abgelegensten Teilen Phrygiens und Paphlagoniens. Seinem scharfen Auge entging nichts — weder der Zustand der Straßen, die mehr Wege waren, noch die Ausbreitung der Landwirtschaft in den verschiedenen Gegenden oder der Bildungsgrad der Bevölkerung.
    Im Frühsommer kehrte er nach Sinope zurück. Er fühlte sich allmächtig, unnahbar und genial. Seine Schwester und Frau Laodike hatte freilich eine schrille Stimme bekommen und neigte zu nervösem Geplapper, und die Adligen seines Gefolges waren merkwürdig still geworden. Seine Onkel Archelaos und Diophantos waren tot, seine Vettern Neoptolemos und Archelaos waren in Kimmeria. Dem König wurde seine Verletzlichkeit bewußt, und das kam seinem Triumphgefühl in die Quere. So unterdrückte er den Drang, sich auf seinen Thron zu setzen und den versammelten Hof mit jeder Einzelheit seiner Odyssee in den Westen zu ergötzen. Statt dessen beschenkte er seine Gefolgsleute mit einem aufmunternden Lächeln, setzte Laodike im Bett zu, bis sie um Schonung flehte, besuchte alle seine Söhne und Töchter und deren Mütter und wartete dann ab, was als nächstes passieren würde. Etwas braute sich zusammen, dessen war er gewiß. Bis er herausfand, um was es sich handelte, wollte er kein Wort darüber verlieren, wo er während seiner langen und geheimnisvollen Abwesenheit gewesen war, noch seine Pläne für die Zukunft enthüllen.
    Dann suchte ihn eines Tages sein Schwiegervater Gordios zu vorgerückter Stunde auf, legte einen Finger an die Lippen und bedeutete ihm mit der Hand, daß sie sich so bald als möglich auf der Brustwehr des Palastes treffen sollten. Die Luft war vom silbernen Licht des Vollmonds getränkt, der Wind jagte glitzernde Schauer über die weite Fläche des Meeres tief unter ihnen, und

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