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MoR 02 - Eine Krone aus Gras

Titel: MoR 02 - Eine Krone aus Gras Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Colleen McCullough
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König, der zunehmend in Fahrt kam. »Du kennst sie ja — ein weit gespreizter Nacken mit einer Augenzeichnung und ein kleiner Kopf. Ich habe mir eine Kiste mit solchen Schlangen in jeder Größe besorgt und mit den kleinen angefangen. Ich habe mich nacheinander von ihnen beißen lassen, bis ich bei der größten angelangt war — einem Ungeheuer, sieben Fuß lang und so dick wie mein Arm. Als ich fertig war, Gordios, konnte eine Natter mich beißen, ohne das ich etwas spürte! Dasselbe habe ich mit anderen Nattern gemacht, mit Pythonschlangen, Skorpionen und Spinnen. Dann schluckte ich kleine Dosen jedes mir bekannten Giftes — Schierling, Eisenhut, Mandragora, Kirschsamenbrei, den Sud aus Beeren, Büschen und Wurzeln, den grünen Knollenblätterpilz, den Fliegenpilz — alles, Gordios, ich aß alles. Nach und nach erhöhte ich die Dosis, bis selbst ein ganzer Becher irgendeines Gifts mir nichts mehr anhaben konnte. Und ich habe das fortgesetzt — ich nehme immer noch Gift, und ich lasse mich immer noch beißen. Und ich nehme Gegengifte.« Mithridates lachte leise. »Soll Laodike nur ihre schlimmste Waffe einsetzen! Sie kann mich nicht töten.«
    Und Laodike versuchte es, und zwar bei einem Staatsbankett, das sie zur Feier der wohlbehaltenen Heimkehr des Königs gab. Da der ganze Hof eingeladen war, wurde der große Thronsaal leergeräumt und mit Dutzenden von Sofas vollgestellt. Die Wände und Säulen wurden mit Girlanden und Blumen geschmückt, der Boden mit parfümierten Blütenblättern bestreut. Die besten Musiker Sinopes waren bestellt worden, und eine reisende griechische Schauspieltruppe wurde beauftragt, eine Vorstellung der Elektra des Euripides zu geben. Die berühmte Tänzerin Anais aus Nisibis wurde eigens aus Amisos am Schwarzen Meer hergebracht, wo sie den Sommer verbrachte.
    Die pontischen Könige hatten früher zwar wie ihre thrakischen Vorfahren an Tischen gegessen, aber nun hatten sie schon seit langem den griechischen Brauch übernommen, beim Essen auf Sofas zu liegen, und sie hielten sich deshalb für glänzende Vertreter der griechischen Kultur und für hellenisierte Monarchen.
    Wie dünn der hellenische Firnis war, zeigte sich spätestens dann, als die Höflinge einer nach dem anderen den Thronsaal betraten und sich vor dem König flach auf den Boden warfen. Dazu paßte auch, daß Königin Laodike dem König verführerisch lächelnd einen endlos scheinenden Augenblick lang ihren skythischen Goldpokal anbot und mit ihrer rosa Zunge über dessen Rand leckte.
    »Trink aus meinem Becher, mein Herr und Gebieter«, befahl sie dann mit sanfter Stimme.
    Ohne zu zögern nahm Mithridates einen tiefen Zug, der den Pokal zur Hälfte leerte, dann setzte er ihn auf das Tischchen vor dem Sofa, das er mit Königin Laodike teilte. Den letzten Schluck Wein behielt er im Mund. Er ließ ihn auf der Zunge nachschmecken, während er seine Schwester mit seinen traubengrünen, braungesprenkelten Augen anstarrte. Dann runzelte er die Stirn, aber nicht ärgerlich, sondern eher nachdenklich, als suche er sich an etwas zu erinnern. Und plötzlich lächelte er breit.
    »Dorykneion!« sagte er vergnügt. »Wacholder.«
    Die Königin wurde bleich. Der gesamte Hofstaat verstummte, denn Mithridates hatte laut gesprochen, und das Fest war bisher ruhig verlaufen.
    Der König wandte sich nach links. »Gordios!«
    »Mein König?« Gordios glitt rasch von seinem Sofa.
    »Komm her und hilf mir.«
    Laodike war vier Jahre älter als ihr Bruder und sah ihm sehr ähnlich — kein Wunder, daß sich die Ähnlichkeiten verstärken mußten, in einer Familie, in der im Lauf vieler Generationen immer wieder er Bruder die Schwester geheiratet hatte. Die Königin hatte einen etwas dicken, aber wohlproportionierten Körper, und sie hatte an diesem Tag besonders viel Aufmerksamkeit auf ihr Äußeres verwandt. Das goldene Haar war im griechischen Stil frisiert, die grünbraunen Augen waren mit Antimon geschminkt, die Wangen mit rotem Kreidepuder betupft, die Lippen karminrot bemalt und Hände und Füße mit Henna dunkelbraun gefärbt. Das weiße Band ihres Diadems teilte ihre Stirn in zwei Hälften, und die Quasten an seinen Enden fielen ihr über die Schultern. Sie sah in jeder Hinsicht aus wie eine Königin, und genau das war auch ihre Absicht.
    Nun las sie ihr Schicksal in den Augen ihres Bruders und wandte sich blitzschnell ab, um zu fliehen. Aber sie war nicht schnell genug. Mithridates packte die Hand, mit der sie sich vom Sofa

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