MoR 02 - Eine Krone aus Gras
Kopf und Gliedern auf dem Sofa hin- und her zuckte.
»Sie hat einen Anfall!« sagte Gordios schrill.
»Natürlich«, sagte Mithridates verächtlich. »Und dieser Anfall wird sie töten, wartet es ab.« Er beobachtete seine Schwester mit dem Interesse eines Arztes, da er stark abgeschwächte Varianten solcher Krämpfe selbst durchgemacht hatte, wobei er allerdings nie in seinen großen silbernen Spiegel gesehen hatte. Als Laodikes Konvulsionen sich weiter hinzogen, ohne nachzulassen, sagte er zu den Anwesenden: »Ich habe den Ehrgeiz, ein universelles Gegengift zu entwickeln, ein magisches Elixir, das die Wirkung jedes Giftes beheben kann, ob es nun aus einer Pflanze, einem Tier, einem Fisch oder aus einer leblosen Substanz gewonnen wurde. Zur Zeit muß ich noch täglich eine Mischung aus nicht weniger als hundert verschiedenen Giften zu mir nehmen, sonst würde ich nicht mehr immun gegen sie sein. Und anschließend muß ich eine Mischung aus nicht weniger als hundert Gegengiften zu mir nehmen.« Zu Gordios sagte er leise: »Wenn ich die Gegengifte nicht nehme, fühle ich mich ein wenig unwohl, das muß ich zugeben.«
»Das ist verständlich, großer König«, sagte Gordios und zitterte so heftig, daß er fürchtete, der König werde es bemerken.
»Jetzt dauert es nicht mehr lange«, sagte Mithridates.
Er hatte recht. Laodikes Zuckungen wurden schwerfälliger und unkontrollierter. Ihr Körper erschöpfte sich im wahrsten Sinne des Wortes. Aber ihre Augen strahlten immer noch Gefühl und Bewußtsein aus und schlossen sich müde, wie zum Schlaf, erst im Augenblick ihres Todes. Ihrem Bruder hatte sie keinen einzigen Blick gegönnt. Das mochte freilich auch daran gelegen haben, daß sie Pharnakes ansah, als die Krämpfe einsetzten, und daß sie zum Schluß die Muskeln, die die Blickrichtung ihrer Augen bestimmten, nicht mehr kontrollieren konnte.
»Ausgezeichnet!« rief der König begeistert. Dann nickte er zu Pharnakes hin. »Bringt ihn um.«
Niemand wagte zu fragen, wie dieser Befehl ausgeführt werden solle, und so kam es, daß Pharnakes einen weit prosaischeren Tod fand als die arme Laodike: Er starb unter der Klinge eines Schwerts. Und jeder, der beim Tod der Königin dabeigewesen war, hatte seine Lektion gelernt; es würde lange Zeit keine Anschläge mehr auf das Leben König Mithridates’ VI. geben.
Als Marius über Land von Pessinus nach Nikomedeia reiste, stellte er fest, daß Bithynien sehr reich war. Es war gebirgig wie ganz Kleinasien, aber abgesehen vom Massiv des mysischen Olymp bei Prusa waren die bithynischen Berge niedriger, runder und weniger bedrohlich als der Taurus. Viele Flüsse bewässerten das Land, und es gab hier seit langer Zeit Ackerbau treibende Siedler. Es wurde genug Weizen angebaut, um Bevölkerung und Heer zu ernähren, und selbst dann war noch genug übrig für den Tribut an Rom. Hülsenfrüchte wuchsen, Schafe gediehen, und Gemüse und Obst gab es im Überfluß. Die Menschen sahen wohlgenährt, zufrieden und gesund aus. Jedes Dorf, durch das Marius mit seiner Familie kam, schien wohlhabend genug, um eine zahlreiche Nachkommenschaft großzuziehen.
Im Widerspruch zu diesem Eindruck stand allerdings das, was er von König Nikomedes II. hörte, als er in Nikomedeia ankam und als Ehrengast des Königs im Palast untergebracht wurde. Im Vergleich mit anderen Palästen war dieser relativ klein, aber, wie Julia ihrem Marius schnell erklärte, seine künstlerische Ausgestaltung war enorm wertvoll, die Materialien, die beim Bau verwendet worden waren, von höchster Qualität, und die Architektur vom Feinsten.
»König Nikomedes ist alles andere als ein armer Mann«, sagte Julia.
»Leider«, seufzte König Nikomedes, »bin ich ein sehr armer Mann, Gaius Marius! Da ich über ein armes Land herrsche, kann das wohl nicht anders sein. Aber Rom macht es mir auch nicht gerade leicht.«
Sie saßen auf einem Balkon, von dem man den Meeresarm und die Stadt überblicken konnte. Das Wasser war so ruhig, daß von den Bergen bis zur Küste alles so klar wie in einem Spiegel reflektiert wurde. Nikomedeia schien gleichsam in der Luft zu hängen, dachte Marius fasziniert, so, als ob es nicht nur über, sondern auch unter der Stadt noch eine eigene, vollkommen ausgestattete Welt gäbe, mit einer kleinen Karawane aus Eseln, die mit den Beinen nach oben entlangtrotteten, und Wolken, die durch die himmelblaue Mitte der Bucht schwebten.
»Was willst du damit sagen, König?« fragte Marius.
»Nun, denke
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