MoR 02 - Eine Krone aus Gras
hochstützen wollte, und riß seine Schwester über die Lehne aus Kissen, auf die sie sich gestützt hatte, so daß sie halb sitzend, halb liegend in seinen Arm fiel. Und da kniete schon Gordios an ihrer anderen Seite, sein Gesicht in wildem Triumph verzerrt. Er wußte, welche Belohnung er sich erbitten würde: Seine Tochter Nysa, eine Nebenfrau des Königs, sollte zur Königin gemacht werden, so daß ihr Sohn Pharnakes bei der Thronfolge Vorrang vor Laodikes Sohn Machares bekommen würde.
Hilflos sah Laodike sich um, während vier Gefolgsleute des Mithridates ihren Liebhaber Pharnakes vor den König schleppten. Mithridates starrte Pharnakes teilnahmslos an und wandte sich dann wieder Laodike zu.
»Ich werde nicht sterben, Laodike«, sagte er. »Von diesem dürftigen Gebräu wird mir nicht einmal schlecht.« Er lächelte amüsiert. »Es ist allerdings noch mehr als genug übrig, um dich zu töten.«
Mit der linken Hand packte er ihre Nase und riß ihren Kopf nach hinten. Der Schrecken nahm ihr den Atem, und sie mußte luftschnappend den Mund öffnen. Schlückchen um Schlückchen flößte Mithridates ihr den Inhalt des schönen skythischen Goldpokals ein. Gordios mußte ihr nach jedem Schluck den Mund zudrücken, und Mithridates selbst massierte ihr wollüstig den Hals, um die Schluckbewegungen zu befördern. Laodike wehrte sich nicht, denn das wäre unter ihrer Würde gewesen. Ein Mitglied der Königsfamilie fürchtete sich nicht vor dem Sterben, besonders dann nicht, wenn es versucht hatte, den Thron an sich zu reißen.
Als der Pokal leer war, legte Mithridates seine Schwester auf das Sofa, direkt vor den Augen ihres entsetzten Liebhabers.
»Versuche nicht, das Gift zu erbrechen, Laodike«, sagte der König immer noch amüsiert. »Denn ich würde es dich ein zweites Mal trinken lassen.«
Die im Saal anwesenden Gäste warteten reglos, schweigend und vom Grauen gepackt. Wie lange sie warten mußten, wußte hinterher niemand zu sagen, außer dem König — wenn ihn jemand gefragt hätte, was aber niemand tat.
Er wandte sich an seine Höflinge und begann zu ihnen zu reden, wie ein Lehrer der Philosophie seine Studenten unterrichten mochte. Daß ihr König sich bei Giften so gut auskannte, war für alle eine überraschende Enthüllung. Die Nachricht sollte sich schneller als jedes Gerücht von einem Ende des pontischen Reiches zum anderen und weiter in alle Welt verbreiten. Gordios trug selbst noch einiges dazu bei, und die Worte Mithridates und Gift waren in der Legende von nun an untrennbar verbunden.
»Die Königin«, sagte der König, »hätte keine bessere Wahl treffen können als das Gift des Wacholders, das von den Ägyptern trychnos genannt wird. Ptolemaios, der Feldherr Alexanders des Großen, der später König von Ägypten wurde, brachte die Pflanze aus Indien mit, wo sie, wie es heißt, so groß wie ein Baum wird. In Ägypten wächst sie allerdings nur als holziger Busch, dessen Blätter denjenigen unseres gewöhnlichen Salbei ähneln. Neben dem Gift des Eisenhuts ist es das beste aller Gifte — es wirkt mit tödlicher Sicherheit! Wenn die Königin stirbt, werdet ihr sehen, daß sie bis zum letzten Atemzug bei Bewußtsein bleibt. Ich kann euch sogar aus eigener Erfahrung sagen, daß das Gift alle Wahrnehmungen angenehm verstärkt. Die Welt wirkt weit bedeutsamer und phantastischer, als man sie im Normalzustand wahrnimmt. Vetter Pharnakes, ich sage dir: Jeder Augenblick, den du durchleidest, jedes Blinzeln deiner Augenlider, all dein Stöhnen, wenn du sie leiden siehst — all das wird sie mit größerer Schärfe aufnehmen als je zuvor. Eigentlich schade, daß dies das letzte sein wird, was sie von dir wahrnimmt, oder?« Er sah seine Schwester an und nickte. »Jetzt sieh hin, es fängt an.«
Laodikes Blick war auf Pharnakes fixiert, der zwischen seinen Bewachern stand und hartnäckig auf den Boden starrte. Keiner der Anwesenden sollte den Blick der Königin je vergessen, auch wenn viele es versuchten. Schmerz und Schrecken, Verzückung und Kummer waren darin sichtbar, eine breite und ständig wechselnde Vielfalt der Gefühle. Sie sagte nichts, weil sie offensichtlich nicht konnte. Ihre Lippen öffneten sich langsam und entblößten ihre großen gelben Zähne, und langsam bogen sich ihr Hals und ihr Rückgrat nach hinten, als wolle sie mit dem Hinterkopf ihre Kniekehlen erreichen. Dann traten leichte und rhythmische Zuk- kungen auf, die immer stärker wurden, bis der ganze Körper der Königin samt
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