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MoR 02 - Eine Krone aus Gras

Titel: MoR 02 - Eine Krone aus Gras Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Colleen McCullough
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wird sogar Rom eines Tages bereuen, nichts getan zu haben!«
    »Das ist auch meine Meinung«, sagte Marius. »Aber Anatolien ist weit weg von Rom, und wahrscheinlich gibt es niemanden in Rom, der wirklich weiß, was hier vor sich geht. Außer vielleicht Marcus Aemilius Scaurus, der Senatsvorsitzende, und der wird langsam alt. Ich will diesen König Mithridates aufsuchen und ihn warnen. Wenn ich nach Rom zurückkehre, kann ich den Senat vielleicht davon überzeugen, Pontos ernster zu nehmen.«
    »Laßt uns speisen«, sagte Nikomedes und stand auf. »Wir können später weiterreden. Oh, es tut gut, mit jemandem zu sprechen, der einen ernst nimmt!«

    Für Julia war der Aufenthalt an einem orientalischen Hof eine völlig neue Erfahrung. Die römischen Frauen sollten mehr reisen, dachte sie, denn nun sehe ich, welch engen Horizont wir haben und wie wenig wir vom Rest der Welt wissen. Und das muß sich auch auf die Erziehung unserer Kinder auswirken, besonders unserer Söhne.
    Nikomedes II. war der erste König, den sie zu Gesicht bekam, und er war eine Offenbarung für sie, denn sie hatte natürlich angenommen, alle Könige seien eine Art patrizische Römer im Rang eines Konsuls — überheblich, gebildet, repräsentativ und prunkvoll. Wie Catulus Caesar vielleicht, nur eben keine Römer, oder wie Scaurus, der Senatsvorsitzende, denn Marcus Aemilius Scaurus war trotz seiner kleinen Gestalt und seiner glänzenden Glatze eine königliche Erscheinung.
    Nikomedes II. war in der Tat eine denkwürdige Erscheinung. Einst war er offenbar groß und stämmig gewesen, aber sein hohes Alter hatte seinen Tribut an Größe und Gewicht gefordert, so daß er nun, mit über achtzig Jahren, mager, gebeugt und humpelnd daherkam. Unter seinem Kinn und seinen eingefallenen Wangen schlotterten Hautfalten, Zähne hatte er überhaupt keine mehr, Haare kaum noch. Das waren allerdings körperliche Folgen des Alters, die auch bei manchem achtzigjährigen römischen Konsular in Erscheinung traten. Bei Scaevola Augur zum Beispiel. Der Unterschied lag darin, wie Nikomedes sich gab, und in dem Selbstverständnis, das er offenbar von sich hatte. Er war so verweichlicht, daß Julia sich öfters das Lachen verkneifen mußte. Er bevorzugte lange, wallende Gewänder aus hauchdünner Wolle in exquisiten Farben. Zum Essen trug er eine goldene Perücke mit zu Würsten gedrehten Locken, und er erschien nie ohne seine enormen, juwelenbesetzten Ohrringe. Sein Gesicht bemalte er wie eine billige Hure, und er sprach stets mit Falsettstimme. Er strahlte keinerlei Würde aus, und doch regierte er Bithynien nun schon seit über fünfzig Jahren — regierte es mit eiserner Hand und hatte jede Verschwörung seiner beiden Söhne mit dem Ziel, ihn vom Thron zu jagen, erfolgreich abgewehrt. Wenn Julia ihn ansah und daran dachte, daß er sein Leben lang, seit seiner Pubertät, diese schillernde, weibische Person gewesen war, konnte sie sich nicht vorstellen, wie er es je geschafft hatte, seinen Vater zu stürzen oder sich die Loyalität und Zuneigung seiner Untertanen bis zu diesem Tag zu bewahren.
    Nikomedes’ Söhne lebten beide am Hof, aber von seinen Frauen war keine übriggeblieben. Die Königin und Mutter seines älteren Sohnes, der auch Nikomedes hieß, war vor Jahren gestorben, und auch seine Nebenfrau, die Mutter des jüngeren Sohnes namens Sokrates, war tot. Weder Nikomedes noch Sokrates konnte man einen jungen Mann nennen: Nikomedes war zweiundsechzig, Sokrates vierundfünfzig. Beide waren zwar verheiratet, sahen aber genauso weibisch aus wie ihr Vater. Die Frau des Nikomedes war ein mausartiges kleines Wesen, das kaum auffiel und sich nur trippelnd fortbewegte. Die Frau des jüngeren Sokrates dagegen war eine kräftige, dralle, temperamentvolle Frau, die gerne derbe Scherze machte und dann in dröhnendes Gelächter ausbrach. Sie hatte ihrem Mann eine Tochter geboren, Nysa, die noch ledig war und dem Alter, in dem sie zu alt zum Heiraten sein würde, bereits gefährlich nahe kam. Die Frau des Nikomedes war kinderlos, und Nikomedes hatte auch mit anderen Frauen noch keine Kinder gezeugt.
    »Das ist nicht weiter verwunderlich«, sagte ein junger Sklave zu Julia, als er das Zimmer saubermachte, das sie ganz allein für sich bekommen hatte. »Ich glaube nicht, daß es Nikomedes jemals gelungen ist, in eine Frau einzudringen! Bei Nysa ist es umgekehrt — sie ist wie ein junges Fohlen und interessiert sich nicht für Männer — kein Wunder bei ihrem

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