MoR 02 - Eine Krone aus Gras
es in diesen Tälern goldhaltige Flüsse, ferner Lapislazuli, Türkis und schwarzen Onyx. Ich habe geschworen, daß ich Armenien diese siebzig Täler zurückgewinnen werde und daß ich an einem besser geeigneten Ort eine schönere Hauptstadt erbauen werde als das finstere Artaxata.«
»Hat nicht Hannibal bei der Planung von Artaxata mitgeholfen?« fragte Mithridates.
»Das erzählt man sich«, sagte Tigranes kurz und kam auf seine Großmachtträume zurück. »Ich will Armenien bis Ägypten im Süden und Kilikien im Westen ausdehnen. Ich will Zugang zum Mittelmeer, ich will Handelsstraßen, ich will wärmere Gegenden für den Getreideanbau, und ich will, daß alle Untertanen meines Königreiches Griechisch sprechen.« Er brach ab und fuhr sich mit der Zunge über die Lippen. »Was sagst du dazu, Mithridates?«
»Deine Pläne gefallen mir gut, Tigranes«, sagte der König von Pontos leichthin. »Ich werde dich bestimmt unterstützen und dir Soldaten zur Verfügung stellen, damit du deine Ziele erreichst — wenn du mir hilfst, wenn ich nach Westen ziehe, um den Römern die Provinz Asia wegzunehmen. Du kannst Syrien, Kommagene, Osrhoene, Sophene, Korduene, Palästina und Nabatäa haben. Ich will ganz Anatolien einschließlich Kilikiens.«
Tigranes sah keinen Grund zu zögern. »Wann?« fragte er eifrig.
Mithridates lächelte und lehnte sich zurück. »Wenn die Römer zu beschäftigt sind, um sich um uns zu kümmern. Wir sind jung, Tigranes, wir können es uns leisten zu warten. Ich kenne Rom. Früher oder später wird Rom im Westen oder in Afrika in einen Krieg verwickelt werden. Und dann ist unsere Zeit gekommen.«
Um ihren Pakt zu besiegeln, ließ Mithridates seine älteste Tochter Kleopatra kommen, das inzwischen fünfzehn Jahre alte Kind seiner toten Gemahlin Laodike, und bot sie Tigranes zur Frau an. Armenien hatte bisher noch keine Königin, und Tigranes ergriff die Gelegenheit begierig: Kleopatra würde Armeniens Königin werden. Das war eine sehr bedeutsame Vereinbarung, denn damit würde ein Enkel des Mithridates armenischer Thronerbe sein. Als das goldhaarige und goldäugige Kind seinen zukünftigen Ehemann zu Gesicht bekam, brach es vor Entsetzen über dessen fremdartige Erscheinung in Tränen aus. Tigranes ließ sich daraufhin den Bart abrasieren und seine langen Haare abschneiden, ein beachtenswertes Zugeständnis für einen jungen Mann, der in der von der Außenwelt abgeschlossenen Atmosphäre eines orientalischen Hofes voller echter und künstlicher Barte und Locken aufgewachsen war. Seine Braut entdeckte, daß er eigentlich doch ein gutaussehender junger Mann war, legte ihre Hand in die seine und lächelte. Von ihrer Schönheit überwältigt, hielt sich Tigranes für einen Glückspilz, und zum vielleicht letzten Mal in seinem Leben empfand er so etwas wie Demut.
Gaius Marius war überaus erleichtert, Frau und Sohn und die kleine Eskorte aus Tarsos gesund und wohlbehalten vorzufinden. Seine Familie hatte sich sehr gut in das Nomadendasein der Hirten eingelebt.
Der kleine Marius hatte sogar eine ganze Reihe Worte der fremdklingenden Sprache der Nomaden gelernt und war sehr geschickt im Umgang mit seinen Schafen.
»Schau, tata!« rief er, als er seinen Vater zu der Stelle geführt hatte, wo seine kleine Schafherde graste. Die Tiere trugen enganliegende Mäntel aus Ziegenleder, die die Wolle vor dem Wetter und den Kletten schützen sollten. Der Junge nahm einen kleinen Stein und warf ihn genau vor die Schnauze des Leittieres. Sofort hörte die ganze Herde auf zu grasen und legte sich gehorsam nieder. »Siehst du? Sie kennen das Signal zum Hinlegen. Ist das nicht schlau?«
»Allerdings«, sagte Marius und sah auf seinen Jungen hinunter, wie er da vor ihm stand, kräftig, gutaussehend und braungebrannt. »Bist du bereit zur Abreise, mein Sohn?«
Kummer füllte die großen grauen Augen. »Abreise?«
»Wir müssen sofort nach Tarsos aufbrechen.«
Der Kleine blinzelte, um seine Tränen zurückzudrängen, starrte traurig auf seine Schafe und seufzte. »Ich bin bereit, Vater«, sagte er dann.
Unterwegs lenkte Julia ihren Esel neben Marius’ großes kappadokisches Pferd. »Kannst du mir sagen, was dich so beunruhigt hat?« fragte sie. »Und warum du jetzt Morsimos so eilig nach Tarsos vorausgeschickt hast?«
»Kappadokien ist einem Handstreich zum Opfer gefallen«, erklärte Marius. »König Mithridates hat seinen eigenen Sohn auf den Thron gesetzt und seinen Schwiegervater zum Regenten gemacht. Der
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