MoR 02 - Eine Krone aus Gras
zukommen ließ, um sich des Beistands der Göttin zu versichern, daß der Knabe sich zu einem tüchtigen Mann entwickeln würde.
Die beiden Frauen saßen in Servilia Caepionis’ Wohnzimmer, das direkt neben dem Kinderzimmer lag. Jetzt kamen sie aus dem Zimmer und begrüßten ihre Männer freudestrahlend. Man hatte den Eindruck, Schwestern vor sich zu haben, obwohl die beiden Frauen ja nur Schwägerinnen waren. Beide waren klein, hatten dunkle Haare und Augen und ein schmales, regelmäßiges Gesicht. Livia Drusa, Caepios Frau, war die hübschere von beiden, denn sie hatte nicht die in der Familie sonst üblichen kurzen Beine geerbt. Außerdem hatte sie auch die bessere Figur. Sie erfüllte mit ihren großen, runden Augen und dem kleinen, wie eine Knospe geformten Mund die Kriterien weiblicher Schönheit. Ein Kenner hätte ihre Nase vielleicht als etwas zu klein eingestuft, aber wenigstens war die Nase nicht gerade, sondern endete in einem winzigen Knubbel. Livia Drusas Haut war kleinporig und cremefarben, ihre Taille schmal, ihre Brüste und Hüften wohlgeformt und üppig. Servilia Caepionis, Drusus’ Frau, war dünner, sah aber sonst genauso aus. Jedoch neigte sie zu Pickeln um Kinn und Nase, ihre Beine waren zu kurz für ihren Rumpf und auch ihr Hals war nicht lang genug.
Dennoch liebte Marcus Livius Drusus seine weniger hübsche Frau, während Quintus Servilius Caepio seine Frau trotz ihrer Schönheit nicht liebte. Bei der Doppelhochzeit acht Jahre zuvor war es noch umgekehrt gewesen. Die beiden Männer wußten es nicht, aber der Grund dieser Entwicklung waren ihre Frauen: Livia Drusa hatte Caepio gehaßt und war zu der Heirat gezwungen worden, Servilia Caepionis dagegen hatte Drusus schon als kleines Mädchen angehimmelt. Als Angehörige der vornehmsten Adelsgeschlechter Roms waren beide Frauen mustergültige Ehefrauen des alten Schlags: stets gehorsam, unterwürfig, ausgeglichen und ehrerbietig. Als die Ehepartner sich im Lauf der Jahre dann besser kennenlernten und zu einer gewissen Vertrautheit fanden, schmolz die Gleichgültigkeit von Marcus Livius Drusus angesichts der ihm von seiner Ehefrau beständig entgegengebrachten Zuneigung und der zunehmenden Begeisterung, die sie im Schlafgemach an den Tag legte, dahin, auch wenn letzteres ein wunder Punkt zwischen den Eheleuten blieb, da aus ihrer Verbindung keine Kinder hervorgingen. Quintus Servilius Caepios’ sprachlose Bewunderung dagegen erlosch angesichts der unausgesprochenen Abneigung seiner Frau und ihrer zunehmenden Kälte in der ehelichen Umarmung, hinter der sich Verzweiflung darüber verbarg, daß ihrer Verbindung bisher lediglich zwei Mädchen entsprungen waren und dann nichts mehr.
Ein kurzer Besuch im Kinderzimmer war obligatorisch. Drusus machte viel Aufhebens um den pausbäckigen, dunkelhäutigen Drusus Nero, der mittlerweile fast zwei Jahre alt war. Caepio hingegen nickte seinen Töchtern lediglich zu, die sich ängstlich und ehrfürchtig an die Wand drückten. Sie waren kleine Ausgaben ihrer Mutter, genauso dunkel und großäugig und mit demselben Knospenmund, und beide hatten den Charme, der kleinen Mädchen eigen ist. Ihr Vater merkte davon freilich nichts, weil er seine Töchter gar nicht genau ansah. Servilia war nun fast sieben und hatte aus der Tracht Prügel, die sie bezogen hatte, weil sie Apelles Pferd und Zeuxis Trauben eigenhändig verschönert hatte, viel gelernt. Sie war noch nie zuvor geschlagen worden und hatte eher Demütigung als Schmerz, eher Ärger als Belehrung empfunden. Lilla dagegen war ein kleiner Derwisch, ständig zu Streichen aufgelegt und nicht zu bändigen, eigensinnig, aggressiv und direkt. Sie hatte die Schläge, die sie bezogen hatte, sofort wieder vergessen und nur einen gesunden Respekt vor ihrem Vater zurückbehalten.
Die vier Erwachsenen begaben sich ins Speisezimmer zum Essen.
»Kommt Quintus Poppaedius nicht zum Essen, Cratippus?« fragte Drusus seinen Verwalter.
»Soweit ich weiß schon, Herr.«
»Dann warten wir«, beschied Drusus. Er ignorierte den feindseligen Blick, den sein Schwager Caepio ihm zuwarf.
Caepio ließ sich jedoch nicht so einfach abspeisen. »Ich frage mich, wie du diesen gräßlichen Burschen nur ertragen kannst, Marcus Livius.«
Drusus sah seinen Schwager kalt an. »Manche fragen mich dasselbe in Bezug auf dich, Quintus Servilius«, sagte er ruhig.
Livia Drusa stockte der Atem, und sie mußte ein nervöses Kichern unterdrücken. Aber wie Drusus erwartet hatte, überhörte
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