MoR 02 - Eine Krone aus Gras
zurückzuführen: Drusus hatte als Militärtribun an der Schlacht von Arausio teilgenommen. Damals hatte der patrizische Konsul Quintus Servilius Caepio sich geweigert, sein Heer mit dem des homo novus Gaius Mallius Maximus zusammenzulegen, und die römischen und italischen Legionen hatten infolgedessen in Gallia Transalpina eine vernichtende Niederlage gegen die Germanen erlitten.
Zwei neue Faktoren bestimmten das Leben des jungen Drusus nach seiner Rückkehr aus Gallia Transalpina: zum einen die Freundschaft mit dem marsischen Adligen Quintus Poppaedius Silo und zum anderen die Überzeugung, daß die Männer seiner eigenen Klasse und Schicht, insbesondere sein Schwiegervater Caepio, die Leistungen der Soldaten, die in Arausio gefallen waren, weder zu schätzen noch zu achten wußten, egal ob es sich um römische Adlige, italische Hilfstruppen oder römische Proletarier handelte.
Das hieß freilich nicht, daß der junge Marcus Livius Drusus sich sofort die Vorstellungen und Ziele eines echten Reformers zu eigen gemacht hätte. Dazu war er viel zu sehr ein Produkt seiner Klasse. Aber er hatte — wie viele andere römische Adlige auch — etwas erlebt, das ihn nachdenklich gemacht hatte. Ähnlich war es auch den Gracchen ergangen. Tiberius Sempronius Gracchus, der ältere der Brüder und Sproß einer der angesehensten und ältesten Familien Roms, hatte als junger Mann Etrurien bereist und dabei festgestellt, daß eine Handvoll reicher Römer das gesamte römische Staatsland kontrollierte. Die Römer bebauten es mit Hilfe aneinandergeketteter Sklaven, die jede Nacht in elende Behausungen gesperrt wurden, die berüchtigten ergastula. Wo, fragte sich Tiberius Gracchus angesichts dieser Sklavenmassen, waren die römischen Kleinbauern, die dieses Land hätten besitzen und bebauen sollen, um sich so den Lebensunterhalt zu sichern und Söhne für das römische Heer zu zeugen? Seine Klassenzugehörigkeit hatte Tiberius Gracchus nicht am Nachdenken gehindert. Und weil er ein Produkt seiner Klasse war, hatte er einen ausgeprägten Gerechtigkeitssinn und eine übermächtige Liebe zu Rom.
Sieben Jahre waren seit der Schlacht von Arausio vergangen. Drusus war in diesen sieben Jahren Mitglied des Senats geworden, hatte als Quästor in der Provinz Asia gedient und hatte seinen Schwager und dessen Familie nach der Schmach des alten Caepio in seinem Hause aufnehmen müssen. Er war Priester des Staatskultes geworden, hatte sein persönliches Vermögen gewinnbringend angelegt und die schrecklichen Ereignissse, die zum Mord an Saturninus und seinem Kollegen geführt hatten, aufmerksam mitverfolgt. Und er hatte auf Seiten des Senats gegen Saturninus gekämpft, als dieser sich zum König von Rom hatte aufschwingen wollen. Drusus hatte Quintus Poppaedius Silo in diesen sieben Jahren unzählige Male bei sich zu Gast gehabt, hatte ihm zugehört und hatte selber nachgedacht. Er hatte sich vorgenommen, die leidige Frage der italischen Bundesgenossen auf echt römische, wahrhaft friedliche und für beide Seiten zufriedenstellende Art und Weise zu lösen. Darauf verwendete er insgeheim sämtliche Energien, er weihte jedoch niemanden in seine Absichten ein, solange er nicht eine ideale Lösung gefunden hatte.
Der Marser Silo war der einzige, der wußte, was in Drusus vorging. Aber Silo war sehr behutsam und beging nicht den Fehler, Drusus zu sehr zu bedrängen oder ihm seine Vorstellungen aufzuzwingen, die sich von denen seines Freundes beträchtlich unterschieden. Die 6 000 Legionäre, die Silo bei Arausio befehligt hatte, waren fast bis auf den letzten nichtkämpfenden Mann gefallen. Silo hatte Marser befehligt, keine Römer. Marser hatten seine Legionäre großgezogen, Marser hatten sie bewaffnet, und Marser hatten für ihre Verpflegung während des Feldzuges gezahlt. Ein Opfer an Menschen, Zeit und Geld, für das Rom hinterher weder gedankt noch eine Entschädigung angeboten hatte.
Während Drusus vom allgemeinen Bürgerrecht für alle Bewohner Italiens träumte, wünschte sich Silo nichts sehnlicher als die Loslösung von Rom und den Zusammenschluß aller italienischen Gebiete, die nicht unter römischer Vorherrschaft standen, zu einer unabhängigen und vereinten italischen Nation. Und wenn dieses geeinte Italia einst Wirklichkeit geworden war — und Silo hatte geschworen, alles zu tun, daß es dazu kam —, würden sich die italischen Stämme und Völker zusammenschließen und Krieg gegen Rom führen. Sie würden diesen Krieg
Weitere Kostenlose Bücher