MoR 02 - Eine Krone aus Gras
Caepio die Kritik.
»Das sage ich doch«, fuhr er unbeirrt fort, »wie hältst du es nur mit ihm aus?«
»Weil er mein Freund ist.«
»Weil er dich aussaugt, meinst du wohl!« fauchte Caepio. »Ehrlich, Marcus Livius, er nutzt dich doch aus. Ständig taucht er hier unangemeldet auf, bittet dich um einen Gefallen und beschwert sich über uns Römer. Für wen hält er sich eigentlich?«
»Für einen Italiker aus dem Volk der Marser«, antwortete eine fröhliche Stimme. »Bitte entschuldige die Verspätung, Marcus Livius, aber ich habe dir doch schon so oft gesagt, daß ihr ohne mich anfangen sollt. Ich habe allerdings eine hieb- und stichfeste Entschuldigung für mein Zuspätkommen. Catulus Caesar hat mir einen langen Vortrag über die Treulosigkeit der Italiker gehalten, den ich widerspruchslos über mich ergehen ließ.«
Silo setzte sich auf die hintere Kante der Liege, auf der Drusus lag, und ließ sich von einem Sklaven die Stiefel ausziehen, die Füße waschen und dann warme Socken überziehen. Dann schwang er sich mit lässiger Eleganz herum auf den locus consularis, den Ehrenplatz zu Drusus’ Linken. Caepio dagegen lag auf der Liege, die im rechten Winkel zu der von Drusus stand, auf einem weniger ehrenvollen Platz also, da er ja ein Familienmitglied war und nicht der Gast.
»Du beschwerst dich wieder mal über mich, Quintus Servilius?« fragte Silo unbekümmert, hob eine schmale Augenbraue und blinzelte Drusus zu.
Drusus grinste und sah Quintus Poppaedius Silo liebevoller an, als er Caepio je angesehen hatte. »Mein Schwager beschwert sich ständig über irgend etwas. Nimm einfach keine Notiz davon.«
»Tu ich auch nicht«, sagte Silo und begrüßte mit einem leichten Kopfnicken die beiden Damen, die gegenüber ihren Ehemännern auf Stühlen Platz genommen hatten.
Drusus und Silo hatten sich auf dem Schlachtfeld von Arausio kennengelernt, nach der Niederlage, die 80 000 Soldaten Roms und der italischen Bundesgenossen das Leben gekostet hatte und die hauptsächlich Caepios Vater zu verantworten hatte. Die unter so unvergeßlichen Umständen zustandegekommene Freundschaft war mit den Jahren noch enger geworden. Außerdem verband die beiden die Sorge um das Schicksal der italischen Bundesgenossen, für die sie sich stark einsetzten. Silo und Drusus waren ungleiche Freunde, aber weder Caepios ständiges Genörgel noch die Ermahnungen einiger älterer Senatsmitglieder hatten bisher einen Keil zwischen sie zu treiben vermocht.
Der Italiker Silo sah eher wie ein Römer aus, der Römer Drusus eher wie ein Italiker. Silo hatte eine römische Nase, eine römisch getönte Haut und eine römische Haltung; er war groß, gut gebaut und abgesehen von seinen Augen ein gutaussehender junger Mann. Seine Augen waren gelbgrün, was als unschön galt, und ein wenig schlangenhaft, weil er selten blinzelte. Für einen Marser war das freilich normal, waren die Marser doch ein Volk von Schlangenanbetern, die sich angewöhnt hatten, nicht öfter zu blinzeln, als absolut nötig war. Silos Vater war der Anführer der Marser gewesen, und nach seinem Tod nahm der Sohn trotz seiner Jugend dessen Platz ein. Er war wohlhabend und hochgebildet, und eigentlich hätten gerade die Römer große Achtung vor ihm haben müssen. Die sahen freilich auf ihn herunter und behandelten ihn mit Geringschätzung, wenn sie ihn nicht sogar offen schnitten. Für sie galt nur, daß Quintus Poppaedius kein Römer war, ja nicht einmal Inhaber des latinischen Rechts: Quintus Poppaedius Silo war Italiker und deshalb ein minderwertiges Geschöpf.
Er stammte aus dem fruchtbaren Hochland in der Mitte der italienischen Halbinsel, unweit von Rom, wo sich die Bergkette des Apennin teilte und das Land der Marser schützend umgab und wo der große Fucinus-See lag, dessen Wasserstand in unerklärlichen Zyklen schwankte, was weder durch die Wasserzufuhr aus Nebenflüssen noch durch Niederschläge erklärt werden konnte. Die Marser waren das wohlhabendste und größte aller die italienische Halbinsel bewohnenden Völker. Jahrhundertelang waren sie die treuesten Verbündeten Roms gewesen, und sie waren überaus stolz darauf, daß bisher noch jeder siegreiche römische Feldherr Marser in seinem Heer gehabt hatte und daß die Römer die Marser noch nie besiegt hatten. Und dennoch galten die Marser wie alle anderen italischen Völker nach so vielen Jahrhunderten offensichtlich noch immer als unwürdig, das volle römische Bürgerrecht übertragen zu bekommen. Die
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