MoR 02 - Eine Krone aus Gras
gewinnen und Rom, die Römer und deren außeritalische Gebiete in den neuen Staat eingliedern.
Silo war mit seinen Vorstellungen nicht allein, und er wußte das auch. In den vergangenen sieben Jahren hatte er ganz Italien und sogar Gallia Cisalpina bereist und sich nach Gleichgesinnten umgesehen. Er hatte festgestellt, daß es deren gar nicht so wenige gab. Sie waren alle die Anführer ihrer Stämme und Völker, zerfielen jedoch in zwei Gruppen. Zur einen Gruppe gehörten Männer wie Marius Egnatius, Gaius Papius Mutilus und Pontius Telesinus, die alten und ehrwürdigen Geschlechtern ihres jeweiligen Volkes entstammten. Die zweite Gruppe bildeten Männer wie Marcus Lamponius, Publius Vettius Scato, Gaius Vidacilius und Titus Lafrenius, Aufsteiger, die erst in letzter Zeit von sich reden gemacht hatten. Gespräche über die Zukunft Italiens wurden allerorts in Arbeits- und Speisezimmern abgehalten. Zwar wurden fast alle diese Gespräche in Latein geführt, aber die Italiker vergaßen das Unrecht, das die Römer ihnen angetan hatten, deswegen nicht.
Die Vorstellung einer vereinten italienischen Nation war vielleicht nicht neu, aber noch nie zuvor war sie von den verschiedenen Anführern der italischen Stämme als eine echte Alternative angesehen worden. In der Vergangenheit waren alle Hoffnungen auf die Erlangung des vollen römischen Wahlrechts gerichtet gewesen. Die Italiker wollten Teil eines römischen Staates werden, der sich über ganz Italien erstreckte. Rom war seinen italischen Bundesgenossen so haushoch überlegen, daß diese durch und durch römisch dachten, römische Institutionen übernehmen wollten und sich nichts sehnlicher wünschten, als daß ihr Blut, ihr Besitz und ihr Land ein voller und gleichberechtigter Teil Roms werde.
Einige derer, die über die Zukunft Italiens diskutierten, führten die gegenwärtige Misere auf die Katastrophe von Arausio zurück, andere dagegen wiesen darauf hin, daß die Städte latinischen Rechts es mehr und mehr an Unterstützung für die Sache der italischen Bundesgenossen mangeln ließen und sich offensichtlich plötzlich als etwas Besseres vorkamen als bloße Italiker. Sie wiesen mit Recht darauf hin, daß die latinischen Gemeinden offensichtlich zunehmend Gefallen an der Exklusivität ihrer lati- nischen Bürgerrechte fanden und das Bedürfnis verspürten, sich von den Italikern ohne diese Rechte abzugrenzen.
Arausio war zweifellos der Höhepunkt eines jahrzehntelangen Soldatensterbens gewesen, das die gesamte Halbinsel der Männer beraubte und dazu führte, daß Höfe und Geschäfte wegen Verschuldung aufgegeben oder verkauft werden mußten, weil es zu wenig Kinder und junge Männer für die schwere Arbeit gab. Aber die Feldzüge hatten die römische und latinische männliche Bevölkerung gleichermaßen dezimiert und konnten daher nicht für die gesamte Misere verantwortlich gemacht werden. Dazu kam ein wachsender Unmut gegen reiche römische Grundbesitzer, die in Rom lebten und ihre riesigen Ländereien, sogenannte Latifundien, ausschließlich mit Sklaven bewirtschafteten. Allzuoft begingen römische Bürger schreiendes Unrecht an Italikern, wenn sie beispielsweise unter Ausnutzung ihrer Macht und ihres Einflusses Unschuldige verprügelten, sich fremde Frauen nahmen oder kleine Bauernhöfe kassierten, um ihre Ländereien abzurunden.
Was die Mehrheit der italischen Bundesgenossen dazu bewogen hatte, auf die Loslösung von Rom und die Bildung eines unabhängigen Staates zu setzen, statt wie bisher die Verleihung des vollen römischen Bürgerrechts zu erstreben, war selbst Silo nicht ganz klar. Er selbst war seit Arausio davon überzeugt, daß die einzige Lösung in der Trennung von Rom bestand, aber seine italischen Gesprächspartner hatten an der Schlacht nicht teilgenommen. Vielleicht entsprang die neue Entschlossenheit, sich von Rom loszusagen, dem schieren Überdruß und einem tiefsitzenden Gefühl dafür, daß die Tage, in denen Rom sein kostbares Bürgerrecht großzügig verteilt hatte, vorüber waren und die jetzige Situation in alle Zukunft andauern würde. Die Erniedrigung und Schmähung durch Rom hatte ein Ausmaß erreicht, das den italischen Bundesgenossen untragbar erschien.
In Gaius Papius Mutilus, dem Anführer der Samniten, fand Silo einen Mann, der die Aussicht auf eine mögliche Loslösung von Rom begeistert begrüßte. Silo selbst haßte weder Rom noch die Römer, ihm ging es einzig und allein darum, seinem Volk aus der Misere zu helfen. Aber
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