MoR 03 - Günstlinge der Götter
erinnere, war der junge Caesar eine Art Gelehrter. Dann müßte Jupiterpriester eigentlich das Richtige für ihn sein«, sagte Sulla.
Aurelia zögerte. Sie schien etwas sagen zu wollen, verwarf den Gedanken jedoch und sagte statt dessen etwas anderes. »Er gibt sich viel Mühe, ein guter Priester zu sein, Lucius Cornelius.«
Sulla runzelte die Stirn und sah durch das Fenster. »Die Sonne steht bereits im Westen, deshalb ist es hier so dunkel. Es wird Zeit, daß du dich auf den Weg machst. Ich gebe dir ein paar Offiziersanwärter als Führer mit; von hier ist es nicht mehr weit zu Quintus Pedius. Und deiner Tochter kannst du sagen, daß sie eine Närrin ist, wenn sie bleibt. Meine Männer sind zwar keine wilden Tiere, aber wenn deine Tochter eine richtige Julia ist, wird sie eine wahre Versuchung für sie sein, und ich kann meinen Soldaten nicht verbieten, Wein zu trinken, wenn sie in der Campania sind. Bringe deine Tochter sofort nach Rom. Für übermorgen stelle ich eine Eskorte bereit, die euch bis Ferentinum geleiten wird. So kommt ihr sicher an den beiden Heeren vorbei, die hier lagern.«
Aurelia erhob sich. »Ich habe zwar Burgundus, Lucius Decumius und dessen Söhne, doch ich weiß eine Eskorte zu schätzen, wenn du dafür einige Männer abstellen kannst. Wird es zwischen dir und Scipio zur Schlacht kommen?«
Wie traurig es war, daß sie Sullas strahlendes Lächeln nie mehr sehen würde! Das einzige, was er hervorbrachte, war ein Grunzen; sein durch Narben und Schorf entstelltes Gesicht blieb unbewegt. »Eine Schlacht mit diesem Idioten? Nein, wohl kaum.« Er begleitete sie bis zur Tür, dann berührte er kurz ihren Arm. »Geh jetzt, Aurelia. Und erwarte nicht, daß ich dich in Rom besuche.«
Sie kehrte zu ihren wartenden Begleitern zurück, während Sulla Messala Rufus Anweisungen erteilte. Wenig später ritten sie die Via Praetoria entlang zu einem der vier Tore, die aus Sullas riesigem Lager hinausführten.
Da Aurelia ein abweisendes Gesicht machte, schwiegen auch die anderen, und so hatte sie die Ruhe, die sie so dringend brauchte, um ihre Gedanken zu Ende zu bringen.
Sie hatte ihn stets gemocht, dachte sie, obwohl er zuletzt zum Feind ihrer Familie geworden war. Und obwohl er kein guter Mensch war. Ihr Mann war ein durch und durch guter Mensch gewesen; sie hatte ihn geliebt und war ihm in jeglicher Hinsicht treu gewesen. Dennoch — und das wurde ihr erst jetzt bewußt — gehörte ein kleiner Teil von ihr Lucius Cornelius Sulla. Das, was ihr Gatte nicht gewollt hatte, womit er nichts anzufangen gewußt hätte. Sie hatten sich nur ein einziges Mal geküßt, Lucius Cornelius und sie. Es war berauschend und zugleich gefährlich gewesen.
Ein Morast der Gefühle und Leidenschaften. Sie hatte nicht nachgegeben. Aber die Götter wußten, wie sie ihn begehrt hatte! Damals hatte sie einen Sieg errungen — oder hatte sie einen Krieg verloren?
Immer, wenn er ihre kleine, behagliche Welt betreten hatte, war es wie ein Wirbelsturm gewesen. Wenn er Apollo war, dann auch Äolus. Er hatte ihren Geist in Schwingung versetzt, und in ihr war eine Melodie erklungen, die ihr Mann nie, nie vernommen hatte... Aber was sie jetzt erlebt hatte, war schlimmer als Abschied und Tod! Sie stand vor dem Ende eines unerfüllten Traums, der ihnen beiden gehört hatte, und er wußte es, der arme Lucius Cornelius. Doch wie mutig er war! Ein Geringerer hätte sich in sein Schwert gestürzt. Welche Schmerzen er ertragen mußte! Aber warum hatte sie diese Gefühle? Sie war eine vielbeschäftigte, praktisch und nüchtern denkende Frau und führte ein geordnetes, erfülltes Leben. Doch jetzt verstand sie, welcher Teil ihrer Seele ihm seit je gehörte: der, welcher sich einem Vogel gleich in die Lüfte schwang und unablässig sang, während die Erde darunter zu einem unwichtigen Nichts schrumpfte. Und doch bereute sie nicht, auf dem Boden geblieben zu sein, sich nie emporgeschwungen zu haben. So war sie eben. Zusammen hätten sie keinen Augenblick Ruhe gehabt. Aber wie sie für ihn blutete, wie sie um ihn weinte!
Und weil Aurelia allen vorausritt, außer den Offizieren, die sie führten, sahen die andern ihre Tränen nicht, so wie sie auch den zerstörten Lucius Cornelius Sulla nicht gesehen hatten.
Der Brief, in dem Gaius Norbanus Scipio Asiagenus eindringlich warnte, konnte dessen selbstverschuldeten Sturz nicht aufhalten. Scipio Asiagenus war völlig überrascht, als er beim Befehl zum Angriff erfahren mußte, daß seine Soldaten
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