MoR 03 - Günstlinge der Götter
jetzt nur wegen meiner eigensinnigen Tochter brechen muß! Aber was macht das schon! Wichtig ist allein, daß ich Lucius Cornelius wiedersehe. Ich habe seine Besuche schrecklich vermißt.«
Sertorius öffnete schon den Mund, um sie zu warnen, doch dann sagte er nichts. Er kannte Sullas Zustand nur vom Hörensagen und wußte, was Aurelia von Mitteilungen aus zweiter Hand hielt.
Als die Wälle aus Erde und Holz, die Sullas Lager umgaben, in der Ferne auftauchten, verabschiedete sich Quintus Sertorius von der Frau seines Vetters. Dann trieb er sein Pferd an und verschwand.
Eine neu angelegte Straße, in welche die vielen mit Proviant beladenen Pferdekarren bereits tiefe Spuren gegraben hatten, führte über die Felder zu den Wällen. Jetzt konnten sie sich nicht mehr verirren.
»Wir müssen daran vorbeigeritten sein«, grollte Lucius Decumius. »Dein dicker Arsch hat das Lager verdeckt, Burgundus!«
»Jetzt aber Schluß mit dem Gezänk«, sagte Aurelia ruhig.
Eine Stunde später hielt die kleine Schar vor dem Tor, und Lucius Decumius bat um Einlaß. Dann tat sich vor ihnen eine Welt auf, die für Aurelia, die noch nie in ihrem ganzen Leben ein Heerlager besucht hatte, völlig fremd war. Sie erntete viele anerkennende Blicke, als sie und ihre Begleiter die breite Hauptstraße entlangritten, die schnurgerade auf ein weiteres Tor zuführte, das in der Ferne nur als kleine Öffnung zu erkennen war. Erstaunt stellte Aurelia fest, daß die beiden Tore ungefähr drei Meilen voneinander entfernt waren.
Auf halber Strecke erhob sich ein Hügel in dem ansonsten flachen Lager: Er war offensichtlich künstlich angelegt worden, und auf ihm stand ein großes steinernes Haus. Eine rote Fahne flatterte im Wind, um die Anwesenheit des Feldherrn anzuzeigen, und der wachhabende Offizier, der vor dem Haus unter einem Sonnensegel an einem Tisch saß, stand verlegen auf, als er sah, daß es sich bei dem Besucher um eine Frau handelte.
Lucius Decumius, seine Söhne, Burgundus, Cardixa und die andere Dienerin blieben bei den Pferden, während Aurelia ruhig auf den Offizier zuging. Da sie sich in einen schweren braunen Wollmantel gehüllt hatte, sah der junge Offizier Marcus Valerius Messala Rufus nur ihr Gesicht, doch genügte das schon, sein Herz klopfen zu lassen. Obwohl Aurelia seine Mutter hätte sein können, war sie die schönste Frau, die er je gesehen hatte. Auch die schöne Helena war schließlich nicht mehr ganz jung gewesen. Nein, Aurelia hatte mit den Jahren bestimmt nichts an Ausstrahlung eingebüßt! Auf der Straße drehten sich immer noch alle nach ihr um.
»Ich möchte zu Lucius Cornelius Sulla«, sagte sie. Messala Rufus fragte weder nach ihrem Namen, noch dachte er daran, Sulla von ihrer Ankunft zu unterrichten. Er verbeugte sich nur und zeigte mit der Hand auf die offene Tür. Aurelia bedankte sich lächelnd und trat ein.
Obgleich die Fensterläden weit geöffnet waren, um Luft hereinzulassen, war es drinnen dunkel — vor allem im hinteren Teil des Zimmers, wo ein Mann mit dem Rücken zum Eingang über einen Schreibtisch gebeugt saß und im Schein einer großen Lampe eifrig schrieb.
»Lucius Cornelius?« fragte sie mit ihrer unverwechselbaren Stimme.
Beim Klang ihrer Stimme ging eine Veränderung mit dem Mann vor. Er zog die Schultern hoch, als gelte es, einen schrecklichen Schlag abzuwehren. Papier und Feder rutschten über den Tisch, so heftig stieß er beides von sich. Dann saß er regungslos da. Sie trat ein paar Schritte vor. »Lucius Cornelius?« wiederholte sie.
Noch immer erhielt sie keine Antwort. Ihre Augen begannen, sich an das Dunkel zu gewöhnen. Sie sah einen Kopf, der mit lächerlichen rötlichbraunen Locken bedeckt war. Das war nicht Lucius Cornelius Sulla!
Dann drehte er sich mit einem Ruck um, und sie erkannte ihn an seinen Augen. Es waren unverkennbar seine Augen!
Ihr Götter, wie konnte ich ihm das nur antun? Aber ich wußte ja nicht, wie er aussieht. Wenn ich es gewußt hätte, wäre ich nicht gekommen! Verrät mein Gesicht, was ich denke? Weiß er es?
»Ich freue mich, dich zu sehen, Lucius Cornelius«, sagte sie ruhig. Sie ging vollends auf ihn zu und küßte ihn auf die beiden vernarbten Wangen. Dann setzte sie sich auf einen Klappstuhl, der in der Nähe stand, legte die Hände in den Schoß, lächelte unbefangen und wartete.
»Ich hatte nicht vor, dich je wiederzusehen, Aurelia.« Er starrte sie unverwandt an. »Konntest du nicht warten, bis ich nach Rom komme? So haben wir es doch
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