MoR 05 - Rubikon
hatte. Glücklicherweise empfand der vier Jahre ältere Lucius Caesar keinen Neid, sondern freute sich über den Erfolg von Gaius, dem Sproß des jüngeren Zweiges der Familie, der ein noch größerer Feldherr als Gaius Marius zu werden versprach. Lucius Caesar hatte sich sogar aus Neugier auf seinen berühmten Vetter diesem als Legat angeboten. Er war stolz auf ihn, und seine Arbeit in Rom kam ihm plötzlich ganz langweilig vor. Obwohl ein vornehmer Konsular, angesehenes Gerichtsmitglied und langjähriges Mitglied im Rat der Auguren, beschloß Lucius Caesar im Alter von zweiundfünfzig Jahren, wieder in den Krieg zu ziehen — unter dem Kommando seines Verwandten Gaius.
Die Reise von Ravenna nach Placentia war nicht weiter beschwerlich, da Caesar in allen größeren Städten entlang der Via Aemilia, in Bononia, Mutina, Regium Lepidum, Parma und Fidentia, absitzen ließ, um Gerichtstag zu halten. An einem Tag schaffte er ein Pensum, für das andere Statthalter eine ganze Woche brauchten, und schon ging es weiter zur nächsten Stadt. In den meisten Streitfällen ging es um Geld, von der Sache her also eine zivilrechtliche Angelegenheit, für die es sich in der Regel nicht lohnte, Geschworene einzuberufen. Caesar hörte sich alles aufmerksam an, rechnete im Kopf, klopfte mit seinem elfenbeinernen Amtsstab auf den Tisch, hinter dem er Platz genommen hatte, und verkündete das Urteil. Der Nächste bitte, nicht trödeln! Nie schien jemand etwas an seiner Entscheidung auszusetzen zu haben. Aber das war wohl eher so, weil Caesars Tüchtigkeit sie einschüchterte, dachte Lucius Caesar belustigt, und nicht, weil sie sich gerecht behandelt fühlten, denn Gerechtigkeit widerfuhr nur dem Sieger, niemals dem Verlierer.
Wenigstens in Placentia würde die Pause etwas länger dauern, denn hier hatte Caesar die Fünfzehnte Legion für die Dauer seines Aufenthalts in Illyricum und Gallia Cisalpina in einem Ausbildungslager untergebracht und wollte sich nun mit eigenen Augen von den Fortschritten der Legionäre überzeugen. Sein Befehl hatte knapp und klar gelautet: Drillt sie bis zum Umfallen, und dann drillt sie weiter, bis sie nicht mehr umfallen. Als Ausbilder hatte er fünfzig Zenturionen aus Capua kommen lassen — ergraute Veteranen, die danach dürsteten, das Leben von Siebzehnjährigen in eine wohldosierte Mischung aus Qual und Elend zu verwandeln.
Den Zenturionen der Fünfzehnten sollten die Ausbilder sich in deren Freizeit widmen, vorausgesetzt, es blieb überhaupt freie Zeit. Nun war der Augenblick gekommen, um festzustellen, was bei der über drei Monate langen Ausbildung in Placentia herausgekommen war, und so ließ Caesar den Legionären ausrichten, daß er sie im Morgengrauen des folgenden Tages auf dem Exerzierplatz inspizieren wolle.
»Wenn sie bestehen, Decimus, kannst du mit ihnen gleich auf der Küstenstraße nach Gallia Transalpina marschieren«, sagte Caesar nachmittags beim Essen.
Decimus Brutus, der sich gerade eine lokale Spezialität aus in Öl gebratenem Gemüse schmecken ließ, nickte gelassen. »Soviel ich gehört habe, muß das eine phantastische Legion sein«, sagte er und tauchte die Hände in eine Wasserschale.
»Von wem hast du diese Information?« Caesar stocherte lustlos an einem Stück Schweinefleisch herum, das so lange in Schafmilch gebraten worden war, bis es braun und knusprig und die Milch verkocht war.
»Von einem Lebensmittelhändler, der die Armee beliefert.«
»Woher will der das wissen?«
»Wer sollte es besser wissen? Die Männer der Fünfzehnten Legion haben bei der Schwerstarbeit, die sie hier geleistet haben, alles aufgegessen, was in Placentia geschnattert, gegrunzt, geblökt und gegackert hat, und die hiesigen Bäcker arbeiten mittlerweile sogar in zwei Schichten täglich. Mein lieber Caesar, in Placentia liebt man dich.«
»Das höre ich gerne, Decimus!« lachte Caesar.
»Ich habe gehört, daß Mamurra und Ventidius uns hier besuchen wollen«, sagte Lucius Caesar, der vom Tranchieren erheblich mehr verstand als sein Verwandter und die nördliche Küche, in der nicht so scharf wie im nach Pfeffer verrückten Rom gewürzt wurde, sehr genoß.
»Sie kommen übermorgen aus Cremona.«
Hirtius, der zu beschäftigt war, um an dem Essen teilzunehmen, trat ein. »Caesar, ein dringender Brief von Gaius Trebonius.«
Caesar setzte sich sofort auf, schwang die Beine vom Sofa, das er sich mit Lucius teilte, und streckte die Hand nach der Schriftrolle aus. Er brach das Siegel auf,
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