MoR 05 - Rubikon
Ptolemaios, des Feldherrn Alexanders des Großen. Nur durch die Erfüllung strenger religiöser Vorgaben und mit dem Segen der Priester konnten Könige und Königinnen zu Pharaonen und Pharaoninnen gekrönt werden. König und Königin waren makedonische Titel, der Titel Pharao dagegen war so alt wie Ägypten selbst. Der Titel beinhaltete aber nicht nur religiöse Legitimation, er öffnete auch die riesigen unterirdischen Schatzkammern von Memphis, die der Obhut der Priester anheimgestellt waren und unabhängig von Alexandria waren, wo die Könige und Königinnen ihr an makedonischen Vorbildern orientiertes Leben führten.
Die siebte Kleopatra war selbst Priesterin. Als Kind hatte sie drei Jahre bei den Priestern in Memphis verbracht, sie beherrschte als erste in der ptolemäischen Dynastie sowohl die ägyptische Hochsprache wie die Sprache des Volkes und bestieg den Thron als Pharaonin, in anderen Worten, sie herrschte mit unumschränkter, gottgleicher Macht und hatte im Bedarfsfall Zugang zu den Schatzkammern von Memphis. Im unägyptischen Alexandria jedoch hatte sie als Pharaonin nicht mehr Macht. Die Wirtschaft Ägyptens und Alexandrias funktionierte unabhängig von den in Memphis lagernden Schätzen. Privateigentum war unbekannt — alles ging an die Priester und an den Monarchen; der Monarch bekam sechstausend Talente im Jahr und noch einmal soviel für seine privaten Bedürfnisse.
Kleopatra verdankte die Erfolge ihrer ersten beiden Amtsjahre weniger Alexandria als Ägypten und einem Volk, das unabhängig und selbstgenügsam im östlichen Nildelta, im Land des Onias, lebte und weder dem makedonischen noch dem ägyptischen, sondern dem jüdischen Glauben anhing. Das Land des Onias war nämlich die Heimat jener Juden, die sich geweigert hatten, einen schismatischen Hohenpriester anzuerkennen, und aus dem hellenisierten Judäa geflohen waren. Sie versorgten Ägypten mit Truppen und kontrollierten Pelusium, einen weiteren wichtigen Mittelmeerhafen Ägyptens. Kleopatra, die fließend Hebräisch und Aramäisch sprach, war im Land des Onias sehr beliebt.
Die erste gefährliche Situation, in die sie durch die Ermordung der beiden Söhne des Bibulus geraten war, hatte sie gut bewältigt. Doch dann drohte eine noch viel ernstere Gefahr: Die zweite Nilflut ihrer Amtszeit stieg nur bis zum Pegel des Todes. Der Nil trat nicht über die Ufer, breitete seinen fruchtbaren Schlamm nicht über die Felder aus, und das Getreide sproß nicht aus dem verdorrten Boden, auf den täglich die Sonne brannte. Als Pharaonin aber war Kleopatra die göttliche Verkörperung des Nils, der das lebenspendende Naß verweigerte.
In Alexandria gärte es, als Gnaeus Pompeius in den königlichen Hafen einlief. Um die Ägypter entlang des Nils aller Nahrungsquellen zu berauben, brauchte es zwei oder drei Hungersnöte hintereinander, Alexandria aber, das nichts hervorbrachte außer Beamten, Geschäftsleuten und Sklaven, bekam die Folgen sofort zu spüren. Die Stadt war reich, brachte die weltbesten Gelehrten hervor und hatte die besten Archive der Welt, aber sie war nicht in der Lage, sich zu ernähren; das überließen die Alexandriner den Ägyptern am Nil.
Die Alexandriner waren ein bunt gemischtes Völkchen. Die Makedonen stellten die Aristokratie und wachten eifersüchtig darüber, daß sie die höchsten Ämter bekleideten; die Händler und anderen Geschäftsleute waren eine Mischung aus Ägyptern und Makedonen; im Delta-Viertel am Stadtrand gab es ein großes jüdisches Ghetto, das in der Hauptsache von Handwerkern, Facharbeitern und Gelehrten bewohnt wurde; dann gab es noch die Griechen, die als Buchhalter und Schreiber die unteren Beamtenränge füllten, als Maurer und Bildhauer, Lehrer und Erzieher arbeiteten oder die Ruderbänke der Kriegs-- und Handelsschiffe besetzten. Auch einige römische Ritter lebten in der Stadt. Die Verkehrssprache war Griechisch, das Bürgerrecht nicht ägyptisch, sondern alexandrinisch. Allerdings waren nur die dreitausend makedonischen Adligen alexandrinische Vollbürger, was immer wieder zu Klagen und Unmut in den anderen Bevölkerungsgruppen führte, außer bei den Römern, die darüber nur verächtlich die Nase rümpften. Ein römischer Bürger war schließlich besser als alles andere, auch als ein Alexandriner.
Lebensmittel gab es zwar noch in Fülle, denn die Königin kaufte Getreide und andere Nahrungsmittel in Zypern, Syrien und Judäa, aber die Lebensmittelpreise waren gestiegen, und dies war der Grund
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