MoR 05 - Rubikon
der Unruhe in der Stadt. Die freiheitsliebenden Alexandriner hatten sich noch vor keinem Monarchen geduckt und schon verschiedentlich den einen oder anderen Ptolemäer vom Thron gestürzt und durch einen anderen Ptolemäer ersetzt, wenn der Wohlstand der Stadt gefährdet war oder die Lebenshaltungskosten stiegen.
All das wußte Kleopatra, als sie sich anschickte, Gnaeus Pompeius zu einer Audienz zu empfangen.
Ein weiteres Problem war ihr Brudergemahl, der inzwischen zwölf Jahre alt war und nicht mehr einfach weggeschickt werden konnte wie ein Kind. Obwohl die Pubertät noch kaum eingesetzt hatte, wurde es doch immer schwieriger, den dreizehnten Ptolemaios in Schranken zu halten, was hauptsächlich dem schlechten Einfluß der beiden Männer zuzuschreiben war, die sein Leben beherrschten: sein Erzieher Theodotus und der Haushofmeister Potheinus.
Sie waren alle versammelt, als die Königin in den Audienzsaal schritt. Sie schritt, denn sie hatte herausgefunden, daß sie auf diese Weise Selbstvertrauen und Autorität ausstrahlte — beides Eigenschaften, die ihre magere Gestalt nicht vermittelte. Der kleine König saß in der Purpurtunika und dem Purpurmantel der makedonischen Könige auf seinem Thron, der eine Stufe tiefer stand als der Kleopatras und eine kleinere Ausgabe ihres prächtigen Sessels aus Elfenbein und Gold war. Erst wenn er seine Männlichkeit dadurch unter Beweis gestellt hatte, daß er seine Schwestergemahlin schwängerte, würde der Thron höher gestellt werden. Er sah auf makedonische Art gut aus, eher thrakisch als griechisch, und hatte blonde Haare und blaue Augen.
Die Königin nahm auf ihrem übergroßen Thron Platz und stellte die Füße auf ein purpurfarbenes, gold-- und perlenverziertes Polster, ohne das ihre Füße den Boden aus purpurfarbenem Marmor nicht berührt hätten.
»Ist Gnaeus Pompeius auf dem Weg hierher?« fragte sie.
»Ja, Majestät!« antwortete Potheinus.
Sie hätte nicht sagen können, welchen der beiden sie mehr verabscheute, Potheinus oder Theodotus. Der Haushofmeister hatte die stattlichere Figur und strafte das Vorurteil Lügen, Eunuchen seien immer klein, gedrungen und weibisch. Er war erst spät, im Alter von vierzehn, auf Anordnung seines Vaters, eines makedonischen Adligen mit hochfahrenden Plänen für seinen intelligenten Sohn, kastriert worden. Das Amt des Haushofmeisters war das höchste am Hof, durfte aber nach alter ägyptischer Tradition nur von einem Eunuchen bekleidet werden, und auch Potheinus hatte sich dieser Tradition beugen müssen. Er war ein gerissener, grausamer und gefährlicher Mensch mit grauen, lockigen Haaren, engstehenden grauen Augen und einem schön geschnittenen Gesicht. Insgeheim überlegte er, wie er Kleopatra vom Thron stürzen und an ihre Stelle ihre Halbschwester Arsinoe setzen könnte, die richtige Schwester Ptolemaios’ des Dreizehnten.
Theodotus war trotz seiner intakten Testikel der weiblichere Typ. Er war hager und blaß und schien ständig müde. Seine Stellung als Erzieher verdankte er nur dem glücklichen Umstand, ein Vertrauter von Kleopatras Vater Auletes gewesen zu sein, denn er war weder ein guter Gelehrter noch ein richtiger Lehrer. Was immer er den jungen Ptolemaios lehrte, hatte nichts mit Geschichte, Geographie, Rhetorik oder Mathematik zu tun, sondern mit seiner Vorliebe für Knaben. Kleopatra wußte zu ihrem Ärger, daß ihr Bruder sexuelle Erfahrungen mit Theodotus gemacht haben würde, bevor er offiziell alt genug war, die Ehe mit ihr zu vollziehen. Sie würde nehmen müssen, was Theodotus übrigließ! Wenn sie überhaupt so lange lebte. Denn auch Theodotus wollte sie durch Arsinoe ersetzen, weil er Kleopatra genausowenig manipulieren konnte wie Potheinus. Was waren sie nur für Narren! Begriffen sie denn nicht, daß auch Arsinoe sich nicht manipulieren lassen würde? Der Krieg um den ägyptischen Thron hatte begonnen! Entweder man würde sie, Kleopatra, töten, oder sie würde die beiden Männer töten. Eines hatte sie sich jedoch gelobt: Wenn Potheinus und Theodotus starben, würde ihr Bruder, diese falsche Schlange, mit ihnen sterben!
Die weitläufige Palastanlage umfaßte eine Unzahl von Gebäuden, Sälen und Zimmern, Paläste innerhalb des Palastes und für jedes Amt und jeden Beamten spezielle Räume. Der Audienzsaal war keineswegs der Thronsaal. Der Thronsaal hätte einen Crassus überwältigt — der Audienzsaal reichte aus, um einen Gnaeus Pompeius zu überwältigen. Die Architektur innen wie außen
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