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Moral in Zeiten der Krise

Moral in Zeiten der Krise

Titel: Moral in Zeiten der Krise Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Horst-Eberhard Richter
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westlichen Kulturverfalls. Die Deutschen haben im Irak-Krieg zwar nicht mitgeschossen, waren den US --Freunden
     aber mit dem Lügenmärchen von rollenden Giftgas-Labors im Irak gefällig, das ein irakischer Flüchtling dem deutschen Geheimdienst aufgetischt hatte. Es
     wurde im UN -Sicherheitsrat das entscheidende »Beweisstück« für Außenminister Powell, um den Krieg als unabwendbar zu
     begründen.
    Die Pleite der Bush’schen Kreuzzugsideologie bietet uns eine vielleicht unwiederholbare Chance, uns von der dualistischen Erlösungsideologie zu befreien, die uns seit dem Mittelalter periodisch überfällt. Die Vision, das Heil im Besiegen des Ur-Bösen zu erringen, ist ein christlich getarnter ewiger Kreuzzug gegen die vermeintlichen Feinde Gottes – Ketzer, Hexen, Muslime, Terroristen, Schurkenstaaten aller Art – sämtlich »Ungeziefer im Garten des Herrn«. Das war schon im Zeitalter der Scheiterhaufen eine Vorform gemeinsamer Selbstzerstörung. Im nuklearen Zeitalter ist es die sichere Vorbereitung des Endes, wie ich es in der Satire Alle redeten vom Frieden beschrieben habe und wie es in den aktuellen apokalyptischen Terminator-Filmen durchgespielt wird. Das Fiasko Bushs ist ein ultimatives Warnsignal. Das Einmünden kriegerischer Gewalt in eine unbewusste Komplizenschaft mit dem Selbstmordterrorismus muss endlich begriffen werden.
    Es gibt auf Dauer nur die andere, die einzige Lösung, nämlich die Kreuzzugs- und die Scheiterhaufenstrategie durch den Versöhnungsglauben zu ersetzen, der in Südafrika die Möglichkeit des scheinbar Unmöglichen bewiesen hat. Das ist kein unrealistisches Wunschdenken, sondern humanistischer Realismus. Die Welt ist nicht gespalten. Wir sind es, die sie spalten, weil wir mit uns selbst uneins sind. Hinter dem Fortschritt der wissenschaftlich-technischen Revolution ist der Verantwortungssinn der Vorauseilenden zurückgeblieben. So kommt es, dass die scheinbar Zurückgebliebenen die scheinbar Überlegenen in die Verantwortung zurückholen müssen, die diesen schon fast entglitten war. Was in Südafrika geglückt ist, steht vor uns im Westen als eine fortdauernde Mahnung, den Versöhnungsaufruf Obamas unbedingt zu beherzigen.Dreimal in den letzten Jahrzehnten sind es schwarze Politiker, die die Welt zur Versöhnung aufrufen. Erst Martin Luther King, dann Nelson Mandela, nun Barack Obama. 36 Jahre ist es her, als Martin Luther King seinen Traum verkündete, »daß eines Tages auf den roten Hügeln von Georgia die Söhne früherer Sklavenhalter und früherer Sklaven brüderlich am Tisch zusammensitzen werden. Ich habe einen Traum, daß sich eines Tages selbst der Staat Mississippi, ein Staat, der in der Hitze der Ungerechtigkeit und Unterdrückung verschmachtet, in eine Oase der Freiheit und der Gerechtigkeit verwandelt.«
    Für mich ist es ein bewegender Moment, als 2003 der Dekan des Morehouse College, der Universität Martin Luther Kings in Atlanta, nach Berlin kommt, um mir im Roten Rathaus den »Ghandi King Ikeda Award« zu verleihen. Es ist Martin Luther King, der die Christen mahnend an die Agape erinnert und Mandela wie Obama inspiriert hat. Alle drei tragen die Leidensgeschichte der Schwarzen mit sich und erinnern den Westen an das höchste Prinzip der christlichen Ethik, das im franziskanischen Christentum noch einmal neu aufgelebt war und nun von der Herrschaftsideologie der Moderne verschlungen zu werden droht.
    Politik ist so, wie die Menschen sind, die sie machen. Bei den eben Genannten springt unmittelbar in die Augen, dass sie persönlich für richtig halten, was sie tun. Andere möchten es umgekehrt so erscheinen lassen, als seien sie ausschließlich von Sachzwängen geleitet. Solche Zwänge sind zwar immer auch im Spiel. Doch keine noch so prinzipienhafte Rationalität kann auf Dauer das Wesen derer verdecken, die sich unaufhörlich auf sie berufen. Ein typisches Beispiel liefert in Deutschland die Debatte um das Sparprogramm der Bundesregierung.Der Sachzwang des Sparenmüssens ist angesichts der irrwitzigen Überschuldung unmittelbar einsichtig. Aber nun kommt die Bewährungsprobe, in der die Regierung scheitert, indem sie einseitig Arbeitslose und andere sozial Schwache belastet und die gut und sehr gut verdienenden Bürger von gleichen Opfern verschont. Damit verstößt sie krass gegen das Verursacherprinzip, wie Heribert Prantl in der Süddeutschen Zeitung einsichtig erläutert: »Die Suppe, die die sozial Schwachen jetzt auslöffeln sollen, haben ganz

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