Moral in Zeiten der Krise
Geschichte meinem damaligen Verlag präsentiere, lautet die Rückmeldung: Sechs Verlagsleute seien einig, mir vom Abdruck der Horrorstory abzuraten. Ich würde als humanistischer Autormeine eigene Lesergemeinde verprellen. Bestände ich auf einer Publikation, würde man mir aus Gefälligkeit notfalls 2000 Exemplare drucken, jedenfalls ohne Erfolgserwartung. Doch dann bekommt der gerade von einer Reise zurückgekehrte Geschäftsführer des Verlages das Manuskript in die Hand und entscheidet prompt: Das machen wir.
Das Buch wird international mein größter kommerzieller Erfolg. Der Spiegel druckt, entgegen seiner Gewohnheit, umfangreiche Auszüge in mehreren Folgen ab. Endlich wieder eine Millionenauflage!, freut sich der Chefredakteur. Der Verkaufserfolg ist umso bemerkenswerter, als ich meine Geschichte nicht in einem Happy End ausklingen lasse, wie das die Autoren der Terminator-Filme machen oder Spielberg in Jurassic Park. Ich belasse es am Ende des Textes bei einem Appell zum Engagement in der Friedensbewegung. Doch dieser Appell wird verstanden, was manche veranlasst, mich später zum Vater der Friedensbewegung der achtziger Jahre zu ernennen.
Ein Vierteljahrhundert später: Mich besucht ein junger Redakteur der »Kulturzeit« vom Fernsehsender 3sat, in der Hand die Satire Alle redeten vom Frieden . Er lässt mich im Garten des Instituts daraus vorlesen: Die Geschichte passe noch immer genau zu unserer Situation. Sie treffe, was die Leute insgeheim befürchten, aber nicht aussprechen. Die Film-Industrie kehrt ja auch immer wieder zu dem Thema zurück. Das neueste Produkt der Apokalypse-Serie: Terminator: Die Erlösung geht von einem atomar zerstörten Kalifornien aus. Doch darin kommt es wieder zu einem tröstlichen Ende, wie es im Action-Genre der Popkultur üblich ist. Das Böse muss kapitulieren. Die Angst wird entsorgt, während ich der Angst eine Sprache zu geben versucheund gleichzeitig zum Widerstand aufrufe, d. h. dazu, dem heimlichen theoretischen Pessimismus mit ungebrochenem Engagement zu widersprechen. Und es gibt ja auch immer wieder überraschende Lichtzeichen, wo sie kaum einer noch erwartet.
Das Unmögliche ist möglich: Nelson Mandela
1990 geschieht in Südafrika scheinbar ein Wunder. Der vorausgesagte blutige Bürgerkrieg im Apartheid-Staat bleibt aus. Der seit 1964 eingesperrte Nelson Mandela, Anführer des Widerstandes gegen die Apartheid und einstmaliger Befürworter blutiger Anschläge, kommt nicht nur frei, sondern versöhnt das Land, unterstützt von befreundeten Häuptlingen, aber auch vom weißen Präsidenten de Klerk. Die Welt erfährt von erfolgreichen Verhandlungen und Abmachungen. Doch was in Wahrheit Mandelas großartige Initiative ausgelöst hat, ist eine unscheinbare, aber entscheidende Begebenheit. Mandela erzählt:
Eines Tages, »als meine Kameraden und ich an unsere Grenzen getrieben wurden, sah ich einen Schimmer von Humanität bei einem der Wärter, vielleicht nur für eine Sekunde, doch das war genug, um mich weiterleben zu lassen. (…) Die Güte des Menschen ist eine Flamme, die zwar versteckt, aber nicht ausgelöscht werden kann.« Und weiter: »Ich wusste genau, wie ich nur irgendetwas wusste, dass der Unterdrücker genau so befreit werden musste wie der Unterdrückte. Ein Mensch, der einem anderen die Freiheit raubt, ist ein Gefangener des Hasses, er ist eingesperrt hinter den Gittern von Vorurteil und Engstirnigkeit.« Das heißt: »Der Unterdrückte und der Unterdrücker sind gleichermaßen ihrer Freiheit beraubt.«
Diese Eingebung beflügelt Mandela zu seiner kühnen und schließlich erfolgreichen Initiative. Noch in der Übersetzung schimmert in seiner Sprache eine Offenheit durch, die uns im Westen verlegen macht. Flamme der Güte? Worte nicht eines schwächlichen Weichlings,sondern eines großen Kämpfers, dem das Mitgefühl seines Wärters zu Herzen geht und der plötzlich weiß: Diese Humanität wohnt in uns allen. Wir müssen uns gemeinsam befreien.
Es folgt in Südafrika das kühne Experiment der Wahrheitskommissionen. Täter werden Opfern gegenübergestellt, Täter bekennen sich vor Opfern. Diese erhalten Antworten auf ihre Fragen. Es geht darum, an den vielen Verletzungen und Wunden zu arbeiten und den beschlossenen Frieden auch von innen schrittweise zu verwirklichen. Das Experiment ist nicht immer erfolgreich. Aber dass es überhaupt gewagt wird, sollte dem im Untergrund arbeitenden Hermes-Club vielleicht doch in der Planung des Weltendes
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