Morbus Dei: Inferno: Roman (German Edition)
hallende Schritte, rhythmisch, unverkennbar.
Soldaten.
Der Nebel wurde wieder dichter, jetzt waren Schreie zu hören. Schreie der Verzweiflung, Schreie des Zorns.
Lukas Holzner saß wie erstarrt, neben ihm regten sich seine Söhne, seine Frau war aufgewacht und blickte ihn mit weit aufgerissenen Augen an.
„Lukas –“
Schritte näherten sich, donnerten auf den abgewetzten Pflastersteinen. Plötzlich tauchten die Soldaten aus dem Nebel auf, marschierten auf Lukas Holzner und seine Familie zu.
Hinter ihnen wurden große Wagen mit Käfigen sichtbar …
Von Pranckh saß auf seinem Pferd und beobachtete, wie immer mehr Stadtguardisten mit den Käfigwagen in das Quarantäneviertel eindrangen. Er wandte sich an Leutnant Schickardt, der vor ihm stand. „Karrt sie zusammen, ohne Ausnahme!“
„Jawohl!“ Schickardt salutierte und wollte sich seinen Männern anschließen, aber von Pranckh hielt ihn zurück.
„Die Gesuchten aber bringt mir lebend. Wenn ihnen etwas zustoßen sollte, würde mir das ganz und gar nicht – gefallen.“
Schickardt schluckte. „Lebend. Jawohl.“
„Wir verstehen uns.“ Von Pranckh lächelte, dass Schickardt fror. „Weitermachen!“
Die Stadtguardia und die Rumorwache marschierten durch das Viertel der Kranken und begannen mit der Säuberung, mit der Beseitigung der Wehrlosen, wie es der oberste Schutzherr der Stadt, der Bürgermeister, angeordnet hatte.
Jeder Fußbreit wurde durchkämmt, alle Kranken sowie jene Unglücklichen, die man aus anderen Gründen in das Viertel gesperrt hatte, wurden unbarmherzig auf die Straße gezerrt. Die, bei denen die Krankheit sich bis auf die schwarzen Adern und die weiße Haut nicht weiter ausgewirkt hatte, wurden aneinander gekettet und mussten das Viertel zu Fuß verlassen. Jene, in denen die Krankheit raste und tobte, wurden aus den versperrten Kellern gezerrt und in die Käfige gepfercht.
Die Kranken hatten keine Chance. Wer sich wehrte, wurde brutal misshandelt, und nicht wenige starben noch an Ort und Stelle unter den Hellebarden der Soldaten, die sich wie im Krieg gebärdeten. Einige der Soldaten, die die Tobenden aus den dunklen Kellern holten und sich dabei verletzten, wurden von ihren Kameraden sofort entwaffnet und zu den anderen Gefangenen gekettet.
Schreie brandeten durch die Straßen, von Frauen und Kindern, Kranken und Gesunden, ihre Klagen wurden über die Mauern des Viertels getragen und verhallten in den Gassen der Stadt. Die Menschen draußen murmelten Gebete und liefen wieder in ihre Häuser, als wäre der Teufel persönlich hinter ihnen her.
Doch Gott schien an diesem Tag fern. Immer noch lag dichter Nebel über der alten Kaiserstadt, als ob Er das Unrecht, das geschah, vor der restlichen Welt verbergen wollte. Sogar die Morgendämmerung, die den Menschen seit Anbeginn der Zeit Trost gebracht hatte, war gegen die Nebelschwaden, die wie ein lebendes Wesen durch die verwinkelten Gassen krochen, machtlos.
Und als die Sonne aufging, versank die Stadt, und alles, was in ihr geschah, in blutrotem Zwielicht.
LXXXV
Johann und Elisabeth hörten die Schreie und liefen auf die Straße. Menschen tauchten aus dem Nebel auf, viele in zerrissene Umhänge gehüllt, und verschwanden wieder, wie Geister.
„Mein Gott, Johann, was geschieht hier?“ Elisabeth umklammerte seinen Arm.
Johann antwortete nicht, sondern hielt eine der Gestalten auf. Es war eine Mutter mit einem Säugling in den Armen. Beide waren totenblass, mit schwarzen Verästelungen quer über das Gesicht.
„Was ist hier los?“
Die Frau hatte Panik in den Augen, wollte weiterlaufen, aber Johann ließ sie nicht los.
„Antworte!“
Die Frau wandte sich in Johanns Griff. „Habt ihr nichts gehört? Die Soldaten treiben uns zusammen wie Vieh.“
„Wo sind sie?“
„Überall.“ Die Frau riss sich los, rannte mit ihrem Kind die Straße hinab und war Augenblicke später vom Nebel verschluckt.
Johann erinnerte sich blitzartig an einen anderen Moment, er hörte Stimmen, Befehle, Schreie, die durch ein uraltes Gewölbe wogten, wo Soldaten ebenfalls gegen sie vorgegangen waren. Doch damals war das Schicksal gegen die Soldaten gewesen – heute hatten sie keine Chance.
„Das ist das Ende.“ Der Preuße war hinter sie getreten. „Sie werden alle auslöschen. Kranke, Gesunde, Andersdenkende. Einfach alle, die ihnen im Weg stehen. Und das schließt uns mit ein.“
Johann packte ihn bei den Schultern. „Reiß dich zusammen! Willst du etwa kampflos aufgeben? Wo ist
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