Morbus Dei: Inferno: Roman (German Edition)
ein Leinentuch hinein und begann zitternd Josefas bleiches Gesicht zu reinigen.
Johann ging zum Fenster zu Elisabeth, die sorgenvoll hinausblickte.
Das fahle Licht des Tages verschluckte alle Farben, das unaufhörliche Prasseln des Regens dröhnte ihr in den Ohren. Sie fühlte Johanns Hand, drückte sich an ihn. Beide beobachteten stumm, wie der Preuße liebevoll das Gesicht seiner Frau wusch. Johann war, als würde es ihm das Herz zerreißen, er kämpfte mit den Tränen. Dann atmete er tief ein.
„Was wollen wir nun tun?“, fragte er mit rauer Stimme, aber der Preuße blieb stumm.
„Komm schon, Preuße, was soll denn nun werden?“
Keine Antwort.
„Red mit mir, Heinz, ich bitt dich.“
Der Preuße fuhr herum und starrte Johann an. Noch nie hatte er ihn beim Vornamen genannt. „Was ihr macht, ist eure Sache. Ich werde hier bei meiner Josefa bleiben“, sagte er mit dumpfer Stimme und fuhr fort, ihr voller Hingabe das Gesicht zu säubern, das längst frei von jedem Schmutz war.
„Aber dein Leben wär dann auch zu Ende.“
Der Preuße wischte sich die Tränen aus den Augen und flüsterte leise: „Ich bin heut Nacht schon gestorben.“
Früher hätte Johann seinen Freund nicht verstanden, aber heute war alles anders. Unvorstellbar, wenn Elisabeth das gleiche Schicksal widerfahren wäre.
Es war still im Raum, nur das leichte Kratzen des Leinentuchs war zu hören, das über Josefas Gesicht glitt, immer und immer wieder.
LXXXIII
Vienne, Avril 1704
Mon Général,
die Verhandlungen mit Vertretern der Habsburger über eine Beendigung des Erbfolgekrieges sind ins Stocken geraten, Ich fürchte sogar berichten zu müssen, dass sie fehlgeschlagen sind.
Trotzdem weiß ich Bedeutsames zu berichten, denn in Wien ist eine seltsame Krankheit ausgebrochen, ähnlich der Pest, jedoch nicht so ansteckend und besser kontrollierbar. Aus diesem Grunde wurde ein ganzes Viertel zur Quarantäne ausgerufen, und ob der Ungewissheit über die Krankheit wird dieses Viertel vermutlich in Bälde geschliffen.
Ich vermeine gewiss zu sein, einige der Kranken isolieren und wegbringen zu können, um sie für Notwendigkeiten in der Kriegsführung zu verwenden, in erster Linie bei Belagerungen. Die Krankheit würde sich innerhalb der belagerten Stadt mit Sicherheit ausbreiten, da manch Infizierter rasend vor Wut seine Mitmenschen mutwillig ansteckt. Auch müssen viele der Kranken die Sonne meiden, die ihnen auf der Haut brennt. Anders als bei der Pest wären so die Belagerten mit der Eindämmung der Ausbreitung beschäftigt, was kriegswichtige Einheiten bindet und so ein fortdauerndes Verteidigen praktisch unmöglich macht. Diese Möglichkeit sollten wir uns zu Nutze machen, mein Bestreben ist nun auf diese Aufgabe gerichtet.
So Gott will, werde ich mit vielleicht kriegsentscheidender Fracht zurückkehren.
Vive le roi!
Francois Antoine Gamelin
Gamelin faltete das steife Papier des Briefes, träufelte rotes Siegelwachs auf den Bund und drückte seinen Ring in die erstarrende Masse. Er läutete kurz mit der silbernen Klingel und übergab dem hereinstürmenden Boten den Brief.
Nachdem die Türen zu seinem Salon wieder geschlossen waren lehnte, er sich in seinem Stuhl zurück, nippte am Rotwein und zwirbelte gedankenverloren seinen Bart.
Sein Handeln könnte historische Tragweite haben.
Gamelin musste unwillkürlich schmunzeln.
LXXXIV
Lukas Holzner schreckte aus dem Schlaf auf. Er blickte neben sich, sie lagen noch da: sein Weib und seine beiden Söhne, daneben der alte Vater. Alle schliefen, das Gesicht des jüngsten war mit dunklen Verästelungen überzogen.
Gezeichnet .
Es hatte aufgehört zu regnen, dichter Nebel lag über der Straße. Das mächtige Tor, das das Viertel vom Rest der Stadt trennte, war kaum zu erkennen.
Gezeichnet.
Was hatten sie dem Herrn getan, dass er sie so strafte? Sie hatten immer ein gottgefälliges Leben geführt, im Einklang mit den Geboten, und nun das. Sie hatten alles verloren, waren hierher gekarrt worden und lagen wie die Tiere zitternd im Dreck.
Lukas zog die dünne Decke enger um sich, Zorn stieg in ihm hoch, ließ die schwarzen Adern, die sich über seinen ganzen Körper zogen, pulsieren.
Wo bist du jetzt, Gott?
Ein knarrendes Geräusch im Nebel, aus der Richtung des Tores. Er blickte hin, konnte aber nichts erkennen.
Wieder das Geräusch. Die Nebelschwaden rissen kurz auf, das Eingangstor wurde geöffnet. Gestalten strömten herein, manche hatten Fackeln in den Händen. Lukas hörte
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