Morbus Dei: Inferno: Roman (German Edition)
verharren.
LXXX
Seit den frühen Morgenstunden prasselte der Regen unaufhörlich auf die Dächer Wiens und die Soldaten der Stadtguardia, die vor dem Haus der Dominikaner in der Blutgasse Wache standen.
Ein halbes dutzend Soldaten trugen drei Särge aus dem Haus und luden mühsam die schweren Holzkisten in eine schwarze Kutsche. Als sie fertig waren, setzte sich die Kutsche in Bewegung, erst langsam, dann immer schneller, bis sie im Regen verschwunden war.
Im Rathaus blickte Bürgermeister Tepser aus dem Fenster eines Salons besorgt auf die gegenüberliegenden Häuser, die vernagelten Fenster und die verbarrikadierten Zugänge.
Die Grenze zum Quarantäneviertel.
Hinter Tepser standen Pater Virgil, General von Pranckh, Stadtguardialeutnant Schickardt sowie mehrere Obere der Geistlichkeit, alle schweigend und sichtlich beunruhigt.
„Ohne viel Aufsehen wollte er es regeln. Und jetzt ist Pater Bernardus in Stücke gerissen.“ Der Bürgermeister schritt mit verärgerter Miene auf und ab. „Und natürlich obliegt es nun mir, eine Lösung zu finden. Wie immer.“ Er sah die Geistlichen an. „Ihr und eure ewige Besessenheit vom Teufel! Nichts hat es damit auf sich, rein gar nichts! Die Leute sind krank, und wir müssen eine Lösung finden, damit nicht ganz Wien zu einem Quarantäneviertel verkommt!“
„Noch wissen wir ja nicht, um was genau es sich handelt“, warf Pater Virgil bemüht ein, „wenn wir –“
„ Wir , Pater Virgil, wir werden überhaupt nichts mehr“, unterbrach ihn Tepser schroff. „Ich habe mich auf euren Vorschlag eingelassen, und was haben wir jetzt? Ein halbes Dutzend Tote, zwei Mörder auf freiem Fuß und mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit Gerüchte über die Vorgänge, die sich wie ein Lauffeuer zuerst im Viertel und bald darüber hinaus ausbreiten werden! Gerüchte von der Unfähigkeit der Stadtführung, einem solchen Problem Herr zu werden. Nein, Pater Virgil, wir werden nichts mehr tun. Ich werde dem Stadtrat einen Vorschlag unterbreiten, der das Problem ein für alle Mal löst.“ Tepser setzte sich und trank einen Schluck verdünnten Wein. „General von Pranckh wird mit der Umsetzung des von ihm vorgeschlagenen Procedere betraut, sowie sich der Stadtrat dafür entschieden hat. Und die Stadtguardia hat uneingeschränkt zu kooperieren.“ Er sah den Stadtguardialeutnant scharf an.
„Jawohl, Herr Bürgermeister“, antwortete dieser automatisch und senkte leicht den Kopf.
„Und welches Procedere stellt Ihr Euch vor?“ Pater Virgil wusste, dass er sich auf dünnem Eis bewegte, aber er musste wissen, was auf sie zukam.
Tepser machte eine einladende Handbewegung zu von Pranckh, der gerade den Verband auf seiner Stirn befühlte.
„Da weder eine Heilung noch ein Ausklingen der Krankheit in Sicht ist, sehe ich nur eine Lösung. Wir werden uns wohl oder übel der Kranken entledigen müssen.“
„Ihr wollt sie alle töten?“ Pater Virgil blickte von Pranckh ungläubig an.
„Wir wollen nicht, Pater, wir müssen . Wenn ein Vieh in Eurem Stall krank ist, riskiert Ihr ja auch nicht die ganze Herde, habe ich recht?“, entgegnete dieser mit süffisanter Miene.
„Wir könnten doch ein Lazarett vor den Toren der Stadt errichten, und dort die Kranken pflegen, so wie wir’s auch bei einem Pestausbruch machen.“
„Habt Ihr die große Pest von 1679 vergessen, mit ihren zigtausenden Opfern? Die Pflegerinnen trugen die Krankheit wieder in die Stadt hinein, ebenso die Adeligen, die sich einfach aus dem Lazarett freikauften. Ein paar Hundert Tote oder eine ganze Stadt, Pater, das ist hier die Frage!“
„Wer einem meiner Brüder ein Leid zufügt, der –“
Tepser sprang auf. „Jetzt, meine Herren, ist Schluss mit Gebeten! Es ist Zeit zu handeln. Ich danke Ihnen.“ Der Bürgermeister setzte sich wieder und betrachtete die Männer, die den Salon wie befohlen verließen.
Und er war innerlich stolz auf sich, so klare Worte gefunden zu haben.
Nur von Pranckh blieb im Raum. Pater Virgil blieb an der Tür stehen, drehte sich noch einmal zu den beiden um und betrachtete Bürgermeister Tepser, der vor Selbstverliebtheit zu strotzen schien.
Der Jesuit verließ den Salon, sein Entschluss stand fest.
Der Bürgermeister musterte von Pranckh, der Pater Virgil gedankenverloren nachsah. „Nun?“
„Ich bin mir nicht sicher, ob es ein Jesuit war, der da unten mit List und dem Preußen gekämpft hat. Es war zu dunkel, und das Gesicht konnte ich auch nicht erkennen. Aber
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