Morbus Dei: Inferno: Roman (German Edition)
Gehen wir.“
Johann überlegte kurz. „Aber wie? Die Lände wird komplett abgeriegelt sein, alle Tore verschlossen.“
„Es gibt nur ein direktes Tor hin, nämlich das hinter dem Rotenturmtor, an dem sie uns das letzte Mal geschnappt haben. Das Tor an der Wasserschantz.“
„Und wie sollen wir da durchkommen?“ Elisabeth sah den Preußen irritiert an.
„Gar nicht. Und jetzt kommt.“
„Feuer! Feuer!“ Die Rufe gellten durch die Straßen, Panik machte sich sowohl unter den Kranken als auch unter den Guardisten breit.
„Verdammte Hunde“, schrie Schickardt. Er wandte sich an seinen Adjutanten. „Lassen Sie die Feuerknechte ungehindert passieren und stellen Sie so wenig Guardisten zur Unterstützung ab wie irgend nötig. Die Aktion wird trotzdem weitergeführt.“
„Aber –“
„Ich sagte weiterführen!“, bellte Schickardt den Mann an.
„Jawohl, Herr Leutnant!“
LXXXVI
Auf den Plätzen außerhalb des Viertels standen die Menschen in Gruppen zusammen und starrten sorgenvoll auf das Spektakel, das sich ihnen bot: Dicker, schwarzer Rauch quoll aus dem Nebel, vereinigte sich an der Dächerkante mit den aufflackernden Flammenzungen und verströmte in der ganzen Stadt seinen brenzligen Geruch.
Und wie der Rauch breiteten sich Gerüchte in der Stadt aus, von der Liquidierung des Quarantäneviertels, von der Brutalität der Soldaten und dem Abtransport aller Inhaftierten.
Die Bürger waren besorgt; auch wenn sie Angst vor ihnen hatten, auch wenn sie gesehen hatten, welche Raserei bei manchen der Betroffenen aufflammte, waren doch manche ihrer nächsten Angehörigen in das Viertel geschafft worden. Und nachdem die erste Panik der Menschen vor der unbekannten Krankheit abgeklungen war, mussten sich viele der Bürger eingestehen, dass die Kranken vor dem Abtransport in das Viertel nicht immer schlimm betroffen waren.
Doch für diese Einsicht war es augenscheinlich zu spät. Über Wien lag eine drückende Atmosphäre der Angst und der Erwartung – gleich dem Augenblick, nachdem der erste Blitz durch einen schwarzen Himmel gezuckt war und man auf das Donnergrollen wartete.
Aber all das war von Freising im Moment gleichgültig. Unbändige Trauer und Wut erfüllten ihn, immer wieder sah er Pater Virgil vor sich, hörte sein letztes Omnia Ad Maiorem Dei Gloriam
Und er fühlte sich dafür verantwortlich, sowohl für den Tod seines Oberen als auch die Gefangennahme derer, die Johann ihm anvertraut hatte.
Von Freising wusste, dass er diese Schuld für den Rest seines Lebens mit sich herumtragen musste. Andererseits – vielleicht war sein Leben nicht mehr von allzu langer Dauer.
Der Mönch war nicht mehr weit vom Viertel entfernt, er sah den Türmer im Dom zu St. Stephan bereits die rote Fahne Richtung Brandherd richten. Auf einmal versperrte ein Kordon Guardisten die Straße vor ihm, von Freising wurde langsamer, ging auf die Männer zu.
Der kommandierende Offizier, ein gedrungener Mann mit fleischigem Gesicht, wandte sich ihm hektisch zu. „Tut mir leid, Pater. Wir haben Anordnung, niemanden mehr durchzulassen.“
„Aber ich muss –“
„Wie gesagt. Niemand kommt durch.“ Der Offizier wandte sich ab.
Von Freising war verzweifelt. Der Weg ins Viertel war versperrt, der Untergang der Ausgestoßenen besiegelt. Aber so wie er Johann und Elisabeth kannte, hatten sie nicht auf ihr Schicksal gewartet, sondern es in die Hand genommen und waren geflohen.
Hilf ihnen, o Herr.
Der Mönch verlor sich im Gewimmel der Straßen.
LXXXVII
Johann, Elisabeth und der Preuße betraten das Haus, in dem sie vor kurzem den alten Mann und seine Tochter getroffen hatten. Vorsichtig stiegen sie die knarrenden Stufen hinauf. Doch das Dachgeschoß war leer, der Alte und die Frau waren verschwunden – nur der Kadaver des Hundes lag noch da.
„Ob sie die beiden geholt haben?“ Aber in der Stimme des Preußen klang bereits die Antwort durch.
Sie öffneten das Fenster, unter ihnen herrschte Chaos – Feuerknechte eilten zum brennenden Haus, um zu verhindern, dass sich das Feuer ausbreitete. Die letzten Kranken versuchten verzweifelt zu entkommen, aber die Soldaten fingen sie ein wie Hasen. Aneinandergekettet wie die Tiere wurden sie durch die Straßen getrieben, gefolgt von den Wagen mit den Käfigen, aus denen Hände und Füße ragten wie aus einer Puppenkiste. „Wo bringen sie sie hin?“ Elisabeth Stimme klang dünn, die Schreie gingen ihr durch Mark und Bein.
„Das möchtest du nicht wissen“, sagte der
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