Morbus Dei: Inferno: Roman (German Edition)
nahm er den Wanderstab fester in die Hand. Er war schon einmal in den Kerkern gewesen, er würde nie mehr dahin zurückkehren. Lebend würden sie ihn nicht erwischen.
Der Soldat streckte Johann die Hand entgegen. „Der Brief. Jetzt.“ Seine Kameraden griffen langsam nach ihren Säbeln.
Johann blickte von den Soldaten zu den Werbern und wieder zurück, seine Hand erreichte das Messer, er verlagerte sein Gewicht.
So sei es denn.
„Sie gehören zu uns!“ Die Stimme kam von hinten. Johann drehte sich überrascht um, der Anführer der Jakobspilger stand vor ihm, die anderen Pilger hinter sich.
„Das habt ihr davon, dass ihr immer vorne weg seid. Was sollen denn die Herren Soldaten von euch denken?“ Der Anführer zog einen Brief heraus. „Ich bin Burkhart von Metz, wir sind Jakobspilger auf dem Heimweg nach Wien.“
Der Soldat überflog den Brief, nickte und gab ihn Burkhart zurück. Dann sah er Johann missmutig an. „Warum sagt ihr nicht gleich, dass ihr zu der Gruppe gehört? Ich hab meine Zeit auch nicht gestohlen!“
Johann nickte nur stumm und hoffte, dass der Mann sein Zittern nicht sah.
„Dann weiter mit euch, in Gottes Namen! Und beeilt euch – es wird in dieser Nacht noch ein Sturm kommen.“ Der Anführer winkte sie durch.
Sie entfernten sich rasch vom Kontrollposten. Johann und Elisabeth gingen neben Burkhart.
„Ich danke euch, Bruder“, sagte Johann.
„Ihr wart sehr hilfsbereit vorhin. Und ich denke, einem Pilger muss immer geholfen werden, egal auf welchen Wegen er wandelt, oder?“ Burkhart zwinkerte Johann zu, einen schalkhaften Ausdruck im Gesicht.
„Da mögt Ihr recht haben, Bruder.“ Johann grinste. „Wenn ich gewusst hätte, dass Ihr der berühmte Burkhart von Metz seid, hätt ich Euer Pferd an Ort und Stelle mit den Händen beschlagen.“
Burkhart lachte und deutete hinter sich, wo einer der Pilger das Pferd an den Zügeln führte. „Was hält Euch ab, es nun zu verrichten?“
Eine Windböe kam auf, Burkhart blickte besorgt in den Himmel. „Aber vorher sollten wir machen, dass wir in das Hospiz kommen.“
XV
Tyrol, im Winter des Jahres 1704.
Es ist nun fünf Tage her, dass wir Burkhart von Metz und seine Pilger getroffen haben. Die Reise ist beschwerlich, es stürmt unaufhörlich, Schnee und Eis verwehen die Wege. Der Wind ist eiskalt und kriecht durch jede noch so kleine Mantelfalte hindurch bis in die Knochen selbst. Ich fühle mich schwach, mein ganzer Körper schmerzt, und mir ist beständig übel. Ich hasse mich für diese Schwäche, aber ich kann nichts dagegen tun.
Sogar Johann und Bruder von Freising werden langsam müde, aber Burkhart treibt uns alle weiter. Nur ihm ist es zu verdanken, dass wir heil über den Brenner gekommen sind, auf dem es schlimmer gestürmt hat, als ich es je erlebt habe. Ich hab nie einen unermüdlicheren Mann als diesen Pilger getroffen, aber trotz seines harten Aussehens ist er rücksichtsvoll und geduldig, vor allem mit mir. Er lässt mich auf einem der Pferde reiten, wenn ich nicht mehr weiter kann.
Wir sind jetzt in einem engen Tal gegen Osten unterwegs. Die Wege sind heimtückisch glatt und wir kommen nur langsam voran. Johann meint, dass es nicht mehr lange dauern kann, bis wir im östlichen Tyrol sind. Er ist besorgt um mich, aber er kann mir nicht helfen.
Niemand kann mir helfen.
Ich fühle die schwarzen Adern auf mir. In mir. Wie sie sich ausbreiten, langsam und unerbittlich.
Ich weiß nicht, wie lange ich es noch vor den anderen geheim halten kann. Wenn es etwas Gutes an den andauernden Stürmen gibt, dann das, dass sie kaum Sonne durchlassen. Ich verberge meinen Körper, so gut es geht, vor ihr, aber schon die bleichen Strahlen, die am Nachmittag kraftlos am Himmel stehen, schmerzen auf der Haut.
Ich werde wie sie.
Obwohl ich das Glück habe, dass es bei mir langsamer zu gehen scheint. Wahrscheinlich ist es bei jedem Menschen anders. Bei meinem Vater haben ein paar Stunden gereicht, um das aus ihm zu machen, was zu seinem Untergang geführt hat. Andere im Kloster oben konnten scheinbar mit ihrer Krankheit leben. Oder zumindest überleben.
Johann ist immer auf der Hut vor Soldaten, aber wir treffen nicht viele. Es sind überhaupt kaum Menschen unterwegs. Und doch sehen wir immer wieder Erfrorene. Frauen, Kinder, Alte, Vagabunden, die es nicht geschafft haben und totgefroren in den Gräben liegen, in ihrer letzten Bewegung erstarrt. Sie scheinen unseren Weg zu pflastern und erinnern mich unerbittlich an Großvater,
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