Morbus Dei: Inferno: Roman (German Edition)
trat zu ihm. „Vielleicht ist nur ein Eisen schlecht geschlagen. Dann hat das Tier fortwährend Schmerzen.“
„Seid ihr etwa Schmied, Bruder?“, fragte ihn der Mann misstrauisch.
„Sagen wir mal, dass ich mir so einiges abgeschaut hab.“ Johann streichelte dem Pferd die Flanken, es schnaubte leise, ließ aber zu, dass er den Huf hob.
Johann wischte den Schneematsch von der Hufsohle und bemerkte einen schief getriebenen Nagel im Eisen. „Hab ich mir schon gedacht. Haltet das Pferd fest.“
„Was ist denn? Seid ihr taub?“ Der Anführer ging als Erster zum Pferd und nahm die Zügel in die Hand, die anderen Pilger folgten ihm zögernd.
Johann zückte sein Messer, das Pferd schnaubte und bockte. Nur mit Mühe konnten die Männer es festhalten. Dann hob Johann den Huf und hebelte mit einer schnellen Bewegung den Hufnagel heraus. Der Nagel fiel zu Boden, das Pferd beruhigte sich wieder.
„Es beladen oder darauf reiten solltet ihr nicht, solang das Eisen locker ist“, sagte Johann zum Anführer.
Der klopfte ihm auf die Schulter. „Ich danke euch, Bruder. Wie kann ich’s Euch vergelten?“
„Indem ihr das Tier neu beschlagen lasst“, entgegnete Johann.
„Bei der nächsten Unterkunft. Ihr habt mein Wort.“
Johann bemerkte die Jakobsmuschel am Mantel des Anführers. „Dann noch gute Reise.“
„Gott mit dir, Bruder.“ Der Mann wandte sich zu seinen Pilgern. „Habt ihr gesehen? So wird das Werk des Herrn getan.“
Die Männer wichen seinen Blicken aus, niemand sprach ein Wort. Der Anführer seufzte und schüttelte den Kopf.
Johann tätschelte dem Pferd noch einmal die Seite, dann lief er zu Elisabeth und den anderen, die bereits ein gutes Stück voraus waren.
Gegen Nachmittag machten sie eine kurze Rast. Elisabeth setzte sich auf einen umgestürzten Baumstamm und aß etwas Brot und einen Apfel. Dann nahm sie das Buch, das ihr von Freising geschenkt hatte, und den Graphitstift heraus und schlug die erste Seite auf. Zaghaft setzte sie den Stift aufs Papier und zog eine Linie. Sie überlegte kurz und begann zu schreiben.
Reisebuch von Elisabeth Karrer.
Ein Geschenk von Pater von Freising.
In liebevollem Gedenken an meinen Großvater.
Tyrol, im Winter des Jahres 1704.
Wir sind inmitten einer langen Reise, die vor vielen Tagen in jener schrecklichen Nacht ihren Anfang nahm, in der ich aus allem gerissen wurde, was mir lieb und teuer war. Nur Großvater, Johann und Vitus, unser Hund, konnten mit mir fliehen. Der bloße Gedanke an das Schicksal des Dorfes lässt mich immer noch erschauern.
Und als ob Gott mich nicht schon genug geprüft hätte, nahm er mir vor wenigen Tagen auch noch Großvater und Vitus. Meine Trauer sitzt tief, aber ich bin bemüht sie, so gut es geht, zu verbergen, um für die Reise stark zu bleiben, die uns jeden Tag aufs Neue alles abverlangt. Und ich vertraue auf Johann und unsere Liebe, dass alles einen glücklichen Ausgang nehmen mag.
Johann kniete sich zu Elisabeth, die sofort ihr Buch zuschlug, als hätte sie etwas Ungebührliches getan. Er hielt ihr den Trinkschlauch hin. „Hier. Wird dir gut tun.“
Elisabeth nickte wortlos und trank den verdünnten Wein in großen Schlucken. Dann gab sie Johann den Schlauch zurück.
„Danke dir.“ Sie blickte die Straße entlang auf das Waldstück, das vor ihnen lag. „Wie lange werden wir heut noch gehen?“
Johann sah in den Himmel. Dichte Wolken waren aufgezogen und hingen tief über den Bergen. Sie verhießen nichts Gutes.
„Nicht mehr lange. Das Wetter wird bald umschlagen“, sagte Johann. „Wisst ihr, ob es in der Nähe eine Unterkunft gibt?“, fragte er von Freising.
„Es kommt bald ein Hospiz“, antwortete dieser. „Wir müssen nur noch durch den Wald.“
„Dann los“, sagte Johann und half Elisabeth auf.
„Wir haben’s gleich geschafft.“ Von Freising deutete nach vorne.
Die vier beschleunigten ihre Schritte. Der Wald lichtete sich langsam, gab den Blick frei auf das verschneite, enge Tal.
Und auf den Trupp Soldaten, der die Straße vor ihnen blockierte.
XIV
„Wir müssen zurück“, sagte Johann hastig.
„Zu spät“, entgegnete von Freising, „sie haben uns gesehen. Wenn wir jetzt umkehren, machen wir uns erst recht verdächtig.“
Johann wusste, dass der Mönch recht hatte. Es waren über ein dutzend Männer, in strategisch günstiger Position aufgestellt. Die Soldaten konnten sie jederzeit mit Leichtigkeit abknallen.
Während sie langsam weitergingen, überlegte Johann fieberhaft.
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