Morbus Dei: Inferno: Roman (German Edition)
Ihr, ich frage mich, wie es mit uns weitergeht. Meine Verhandlungen mit Eurer Regierung waren, wie soll ich sagen, nicht gerade ertragreich.“
„Manche Leute sehen eben den Wald vor lauter Bäumen nicht, nicht wahr?“
„Ein wahres Wort. Prinz Eugen von Savoyen wird langfristig nichts ausrichten, auch wenn er gerade auf Ulm marschiert. Ebenso wenig wie dieser Guido Von Starhemberg, ein engstirniger Mann, eben kein Stratege mit Weitblick.“
„Keiner von uns kann sich seine Befehlshaber aussuchen.“
„Das nicht, aber man kann ihnen Wege zeigen, auf denen sie schneller vorankommen.“
„Wege wie –“
„Wege im Sinne von Mitteln, ob nun materieller oder strategischer Natur. Oder besser: kriegsentscheidender.“ Gamelin sah von Pranckh in die Augen. „So furchtbar diese Krankheit zu sein scheint, so dienlich könnte sie doch sein.“
Von Pranckh überlegte kurz. „Ihr meint als Waffe?“
„Warum nicht? Denkt an die Festung in Turin, auf die General Feuillade gerade zumarschiert. Sie gilt als uneinnehmbar. Also muss man sie belagern, um sie auszuhungern, oder man kann sie unterminieren, um sie zu stürmen –“
„Oder man kann ihre Verteidiger durch Krankheit ausdünnen, um so weder Zeit noch Soldatenmaterial zu verschwenden“, beendete von Pranckh Gamelins Gedanken.
„Natürlich würden die Wegbereiter mit beträchtlichem Lohn bedacht. Zumindest in der französischen Armee ist das so.“
Gamelin straffte stolz seinen Rock.
„Ich werde die Möglichkeiten dieses nie stattgefundenen Gesprächs erwägen“, sagte von Pranckh.
„Très bien, mon Général, très bien.“
LXX
Schwaches Tageslicht fiel von der Spiegelgasse durch die schmalen Fenster und vermochte den Salon nur wenig zu erhellen, weshalb Graf von Binden sein Personal angewiesen hatte, alle Kerzen im Raum zu entzünden.
Er hatte sich in seinem mit Leder gepolsterten Lesesessel niedergelassen und blätterte durch die neue Ausgabe des „Mercure Galant“, eine heiße Tasse Tee neben sich. Allerdings war es ihm nicht möglich, seine innere Ruhe dabei zu finden. Neben dem Ausbruch der Krankheit gingen ihm immer wieder die gleichen Bilder durch den Kopf: das Hilfegesuch des Deserteurs und seiner Frau, die niederträchtige Erpressung durch General von Pranckh, sein noch niederträchtigerer Verrat …
Sein Leben lang hatte er sich bemüht, seinen Stand, sein Vermögen und seinen Einfluss für jene geltend zu machen, die nicht das Glück einer adeligen Geburt mit ihm teilten. Insbesondere, nachdem die katholische Kirche die Schlinge um die Hälse der protestantischen Bevölkerung Wiens immer enger gezogen hatte.
Er war ehrbar gewesen – bis zu jenem Tag, als von Pranckh ihn vor die Wahl gestellt hatte.
Er wusste, dass er trotz seiner Tat nicht sicher war, denn Verrätern konnte man nicht trauen. In nicht allzu ferner Zukunft würde er fliehen müssen, aber noch galt es abzuwarten, noch war der Tag nicht gekommen. Nicht für ihn, und nicht für –
Er legte die Zeitschrift weg und nahm einen Schluck Tee. Durch die dampfenden Teeschwaden betrachtete er den Grund seines Verrats: Victoria Annabelle, seine einzige Tochter, die vor dem prunkvoll verzierten Kamin saß und stickte. Sie war alles, was ihm von seiner Frau blieb, die bei der Geburt fast zeitgleich mit dem neugeborenen Sohn verstorben war. Er kniff die Augen zusammen und war überrascht, wie sehr Victoria ihrer Mutter ähnelte, obwohl sie noch keine zehn Jahre alt war, es schien fast –
Plötzlich drang Stimmengewirr vom Gang herein, polternde Schritte näherten sich. Gleich darauf wurde die Türe mit einem heftigen Ruck aufgerissen. Victoria ließ vor Schreck ihre Stickerei fallen und lief zu ihrem Vater, der sich schützend vor sie stellte.
Als Graf von Binden in die Gesichter der Soldaten der Stadtguardia sah, wurde ihm schlagartig bewusst, dass er zu lange gewartet hatte …
LXXI
Johann und der Preuße standen am Dachfenster und blickten auf die gegenüberliegende Häuserfassade. Unter ihnen patrouillierten Wachen der Stadtguardia, an den Erkern standen ebenfalls Soldaten.
„Die haben den Gürtel richtig eng um uns geschnallt“, kommentierte der Preuße.
„Wird schwierig, darüberzukommen“, sagte Johann.
„Auf die Idee sind schon vor ein paar Tagen einige Schlaumeier gekommen“, krächzte eine Stimme aus der Dunkelheit des Dachbodens. Johann und der Preuße wandten sich um, brauchten einige Augenblicke, um etwas zu erkennen.
Ein alter Mann saß in der Ecke,
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