Morbus Konstantin: Ein Steampunk-Roman (German Edition)
selbst Schmerz zugefügt hatten. Es war menschlich. „Du hast dich Männern auf der Gasse hingegeben“, sagte Adam mit sanfter, leiser Stimme, während er heranpirschte. „Schmutzigen Männern, die nach Rum stanken, dummen Männern, die nicht einmal Verachtung verdient haben. Du hast sie ihren kranken Samen in dich ergießen lassen – aber mich willst du nicht berühren? Vor mir ekelst du dich?“
„Adam, ich wollte nicht …“
„Du warst eine Hure!“, rief er, Speicheltropfen spritzten ihr ins Gesicht, und sie zuckte zurück. „Ich habe dein totes Gehirn genommen und ihm den Körper einer Göttin gegeben! Ich bin dein Erschaffer, dein Schöpfer, und du wagst es, dich mir zu widersetzen?“ Er streckte den Arm aus, unschlüssig, was er tun wollte. Er wusste nur, er würde Gewalt anwenden.
„Hast du dich niemals deinem Schöpfer widersetzt?“, flüsterte sie. „Er hat dich erschaffen, aber musstest du deshalb sein Sklave sein?“
Adam erstarrte, die Arme vor sich ausgestreckt. Er fing an zu zittern, und die Verletzung in seinem Bein schmerzte.
„Geh jetzt“, flüsterte er. „Lauf, Margaret. Hinter dir gibt es Tunnel, und mit deinen neuen Sinnen solltest du den Luftzug spüren und den Gängen an die Oberfläche folgen können. Du musst gleich gehen, ehe – ehe ich – ich kann mich nicht immer zurückhalten.“
Sie musste den Unterton in seiner Stimme gehört haben, denn sie unternahm keinen Versuch, ihn zu beruhigen, ihn umzustimmen, oder sich auch nur zu verabschieden. Sie rannte.
Er zwang sich, auf dem Boden seines Laboratoriums Platz zu nehmen. Dann vergrub er das Gesicht in den Händen und schluchzte. Diese schmutzige Welt. Er war das geworden, was er verabscheute: Ein Schöpfer, der von seiner Schöpfung Besitz ergreifen wollte, entschlossen, sie zum Gehorsam zu zwingen. Die Liebe war für ihn zum Greifen nah gewesen, doch sie war ihm entronnen. Vielleicht war er auch bloß ein Narr, und es hatte niemals Liebe gegeben, nur eine verzweifelte Frau, die dankbar gewesen war, dass ihr jemand das Leben gerettet hatte. Eine Frau, die mit Wärme der einzigen Stimme geantwortet hatte, die sie hörte. Was hatte er getan? Sie eine Hure genannt. Es war die Wahrheit, aber es zeugte nicht von Güte. Er hatte sie beinahe angegriffen. Sie vertrieben.
Er war ein Monster. Die Welt hatte aus ihm ein Monster gemacht. Er hätte niemals nach London kommen sollen. Er hätte niemals Oswalds Geld nehmen und seinen Versprechungen Glauben schenken, nie der Sehnsucht nachgeben sollen, sich eine Gefährtin zu erschaffen.
Wenn die Liebe für ihn nun verloren war, was blieb ihm dann noch im Leben? Welches Gefühl in ihm war am stärksten neben dem Verlangen nach Liebe? Welcher Wunsch konnte ihn nun antreiben?
Als er die Hand ans Herz presste, an das eine, das von Oswalds Kugel verschont geblieben war, beantwortete sich die Frage von selbst. Sein Name war Adam. Er würde niemals die Liebe finden. Alles, was er nun wollte, war Rache.
Adam ging zu der Kammer, wo er die wilden, gefräßigen Frauen festhielt, die er als seine Ehrengarde ansah. Sie rissen an ihren Ketten, doch sie griffen ihn nicht an, daher musste er auch das kleine magnetische Gerät, mit dem er sie beherrschte, nicht einschalten. Inzwischen hatte ihr verkümmerter Verstand ihn mit Futter in Verbindung gebracht, das Einzige, das sie noch erfreuen konnte. Sie zumindest waren ihm treu ergeben.
Adam stellte sich in ihre Mitte. „Kommt“, sagte er. „Ich füttere euch. Ich füttere euch mit frischem Fleisch. Ich gebe euch das Hirn, die Leber und das Herz des klügsten Mannes in London.“
Dunkle Orte
S eit er im Käfig aufgewacht war, hatte Pimm Ellie an sich ziehen und sein Gesicht in ihrem Haar vergraben wollen vor lauter Freude, dass ihr nichts geschehen war. Während Oswald seinen großspurigen Monolog gehalten hatte, war er eher daran interessiert gewesen, ihr Profil zu betrachten, als die verrückten Geheimnisse des Alten zu hören. Nun hatten sie endlich einen Augenblick Ruhe. Er erwog, ihre Hand zu nehmen und ihr zu sagen, dass er, nachdem er mit dem Kopf in ihrem Schoß aus seiner Betäubung erwacht war, seinen Standpunkt zu bestimmten bedeutsamen Themen geändert hatte. Aber er begnügte sich damit, Ellie eine weitere Tasse Tee einzugießen. Währenddessen war Freddy damit beschäftigt, das Schloss zu knacken, wobei sie vor sich hin murmelte und mit ihren Werkzeugen hantierte. Big Ben war nun ebenfalls wach und saß in einer Ecke, mit einer
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