Mord allein macht auch nicht glücklich: Ein Provinzkrimi (German Edition)
sagte Kai.
Die Polizistin sah Constanze an, und Constanze nickte. Anschließend tauschten die Noch-Verheirateten einen kurzen Blick aus. Keinen der Liebe, aber einen der Vertrautheit mindestens. So hätte es jedenfalls Bruno formuliert, wenn er gefragt worden wäre. Ihm wurde ganz warm ums Herz. Noch war in dieser Sache nichts verloren.
»Kleine Korrektur: Ich war es, nicht wir«, sagte Bruno, »aber richtich is ooch, dass Herr van Harm, also Kai, einjeweiht war.«
»Stimmt das?«
»Äh«, machte van Harm und suchte abermals die Augen von Constanze. Dann sagte er: »Ich denke, ja.«
»Ein praktischet Experiment. Für Kai sein nächstet Buch. Wir wollten testen, ob man aus ’ner Baumkrone wie dieser …« Bruno zeigte durchs zerbrochene Fenster in die Dunkelheit. Für einen Wimpernaufschlag erkannte er Peggys Gesicht im schwarzen Geäst. Blitzschnell aber war es wieder verschwunden. Was für ein Ausrutscher! Was für ein elender Leichtsinn! Auch Kai musste was gesehen haben, denn er wurde im Folgenden noch blasser, noch fahriger als ohnehin schon. Zum Glück war wenigstens die Polizistin zu erschöpft, um Brunos unfreiwilligem Fingerzeig zu folgen. Müde starrte sie Bruno ins Gesicht und wiederholte, vermutlich, um ihm auf die Sprünge zu helfen und die ganze Sache abzukürzen, seine letzten Worte: »Aus einer Baumkrone wie dieser … Ja?«
»Äh, aus einer Baumkrone wie dieser einen Stein in eine angrenzende Wohnung werfen kann.«
»Und: Kann man?« Ihr Sarkasmus war nicht zu überhören.
»Eijentlich sollte die Klamotte nur bis auf den Balkon gehen. Da hab ick wohl etwas zu stark …«
»Und was ist mit der Botschaft«, unterbrach ihn die Polizistin und angelte nach einem zerknüllten Zettel, der auf der Anrichte lag und den Bruno bis jetzt nicht bemerkt hatte.
»Kann ick noch ma’ sehn?« Die Polizistin reichte Bruno das Blatt.
»Aber warum …« Constanze wollte etwas einwenden, aber Kai ließ sie nicht ausreden, machte stattdessen nur: »Schschschhhht.« Ganz sachte, so wie man ein Kleinkind beruhigt, das noch einmal kurz aus dem Schlaf hochgeschreckt ist. Und Constanze ließ es sich ausnahmsweise gefallen. Nur heute.
Unterdessen hatte Bruno den Zettel in seiner Hand ausführlich betrachtet: So im Kleinformat auf Papier sah die Schrift fast lächerlich aus. Harmlos. Wie gewollt und nicht gekonnt. Wie die Graffiti-Skizze eines Schülers, der sich im Deutsch-Unterricht gelangweilt hatte. Wie die Botschaft, die im Laufe des heutigen Tages an Kais Wohnzimmerwand geschmiert worden war, war sie in Großbuchstaben notiert. Sie lautete:
A LITTLE LESS CONVERSATION,
A LITTLE MORE ACTION!
»Ein Zitat«, sagte Bruno aufs Geratewohl. Leider verstand er den Inhalt nicht, die mangelnden Englischkenntnisse mal wieder.
»Ja, von Elvis«, sagte die Polizistin genervt.
»Genau, von Elvis«, sagte Bruno. Er klang ziemlich begeistert, und er verlieh dieser Begeisterung Ausdruck, indem er Kai den gereckten Daumen seiner rechten Hand zeigte, so unauffällig allerdings, dass weder die Polizistin noch Constanze es mitbekamen.
Endlich Nachtruhe
Die Polizei war am Ende. Sie war so müde, dass sie fast dankbar für Bruno Zabels Geschichte des Steinwurfes war, ob diese jetzt plausibel klang oder nicht. Im Grunde war die Sache eine Lappalie und das Papier nicht wert, auf dem sie – falls überhaupt – protokolliert werden würde. Constanze musste noch einen Wisch unterschreiben, und dann konnte endlich auch die Polizistin nach unten zu ihrem Kollegen gehen, um eine Zigarette zu rauchen. Und Berlin vor den richtigen Verbrechen zu schützen.
»Aber das nächste Mal …«, setzte sie an der Wohnungstür an, als wolle sie zum Schluss noch einmal ihrem volkspädagogischem Auftrag nachkommen.
»Ja?«, sagte Bruno und lächelte zuvorkommend.
»Ach vergessen Sie’s«, sagte die Polizistin und ging grußlos und mit hängenden Schultern die Treppe runter.
»Ich werd dann auch mal«, sagte Kai zu Constanze, die mit an die Tür gekommen war.
»Vielleicht sollteste hier übernachten«, schlug Bruno vor, »wär sogar günstig für heute Nacht.«
»Kommt ja gar nicht in Frage!« Das platzte so reflexhaft aus Constanze heraus, dass Bruno fast schon Mitleid mit seinem Freund bekam. Nach all dem Trost und Beistand, den er ihr hatte angedeihen lassen, und dem ganzen Händchenhalten.
Auch Kai van Harm guckte nicht sehr glücklich aus der Wäsche, obwohl er seiner Noch-Gattin natürlich zustimmte: »Wie kommst du denn auf diese
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