Mord am Niddaufer - ein Kriminalroman
weitere Vorgehen zu besprechen. In der nächsten Woche sollten die ersten Klausuren des neuen Schuljahres geschrieben werden. Dann standen die Abschlussfahrten der zwölften Klassen auf dem Programm. Konnte das alles noch stattfinden oder würde die ganze Schule für einige Monate in einer Art Schockstarre versinken? Natascha Weller konnte sich das Abschlussjahr ohne Lea Schuster überhaupt nicht vorstellen. Eine tiefe Traurigkeit befiel sie.
„Schöne Scheiße, die Sache mit Lea?!“
„Wie? Was?“ Natascha wandte den Kopf. Es war Tobias, der sich neben sie gesetzt hatte. Ausgerechnet Tobias, dachte Natascha. Eigentlich war er ein super Typ. Er ging seit der Mittelstufe mit ihr in die gleiche Klasse. Großgewachsen, breite Schultern, dunkle Haare, ein richtiger Mädchenschwarm. Irgendwann in der achten oder neunten war sie auch mal in ihn verschossen gewesen, hatte sogar mal auf einer Party mit ihm herumgeknutscht. Aber dabei war es auch geblieben. Seitdem waren sie freundschaftlich miteinander verbunden. Keiner von beiden hatte jemals wieder den Versuch gemacht, sich körperlich dem anderen zu nähern. Erst seit den Sommerferien war es anders. Tobias rief immer öfter bei ihr an und wollte sich verabreden. Schwimmbad, Open-Air-Kino, was auch immer. Natascha mochte ihn, aber sie wollte nicht mehr. Zumal sie seit einigen Monaten fest vergeben war, was allerdings außer ihr und ihrem Freund niemand wusste.
„Es ist, als sei eine Welt eingestürzt“, sagte sie mechanisch.
„So fühle ich mich auch“, antwortete Tobias und zog eine Zigarette aus der Jackentasche. Er zündete sie an und nahm einen Zug.
„Seit wann rauchst du?“, fragte Natascha. Ihre Stimme klang abwesend.
„Eigentlich rauche ich nicht. Manchmal auf einer Party. Aber ich brauche das jetzt.“
Natascha nickte. „Hast du noch eine?“
„Klar.“ Tobias zückte die Packung und zog eine Zigarette heraus, die er an Natascha weitergab. Sie steckte sie sich in den Mund. Tobias zündete sie an. Dann saßen sie eine Weile schweigend nebeneinander.
„Was glaubst du, was passiert ist?“, fragte Tobias.
„Keine Ahnung. Vielleicht ein Sexualmord.“
„Wie meinst du das?“
„Was soll es denn sonst gewesen sein? Eine Leiche im Gebüsch. Angeblich war sie nackt.“
Tobias sog nachdenklich an der Zigarette. „Ich weiß nicht. Ich glaube, da steckt was anderes dahinter. Vielleicht war sie dabei, irgendeinen Skandal aufzudecken. Sie war doch immer auf der Jagd nach einer guten Story.“
„Tobi, sie hat die Schülerzeitung gemacht, nicht
Bild
oder
Spiegel
.“
„Na und? Meinst du, bei uns an der Schule gibt es keine Intrigen? Seit die Neue da ist, ist doch dauernd miese Stimmung.“
Natascha sog an ihrer Zigarette und musste augenblicklich husten.
„Scheiß Nikotin.“ Sie hielt die Zigarette zur Seite. „Du meinst wegen der neuen Direks?“
„Ach, was weiß denn ich? Keine Ahnung. Aber möglich wäre es schon.“ Tobias ließ seine Zigarette auf den Boden fallen und zertrat die Glut. „Ich muss los. Wenn du jemanden zum Quatschen brauchst, melde dich.“
Natascha nickte und Tobias küsste sie zum Abschied einmal links und einmal rechts auf die Wange. Dann schulterte er seinen Rucksack und ging.
Andreas Fischer rührte zerstreut in seinem Cappuccino.
„Ja, die tätowierte Lilie. Die hatte Lea seit den Sommerferien“, sagte er vor sich hin. Tom Bohlan saß ihm gegenüber, sein Notizbuch vor sich und beobachtete den Lehrer aufmerksam.
„Hatte die Lilie für Lea irgendeine Bedeutung?“ Fischer blickte auf.
„Keine Ahnung. So gut kannte ich sie nun auch wieder nicht.“
„Woher wussten Sie das mit der Lilie?“
„Bei den Proben habe ich die Lilie gesehen und es gab auch einige Gespräche zwischen den Schülern, die ich mitbekommen habe. Lea hat den anderen davon erzählt, dass sie das Tattoo ganz neu hat.“
Bohlan nickte und schrieb etwas in sein Notizbuch.
„Es gab Getratsche darüber, dass Lea die Lilie extra wegen des Theaterstücks hat machen lassen“, sagte Fischer.
Bohlan blickte auf. „Wieso? Was hat die Lilie mit dem Stück zu tun?“
„Die Lilie steht in unserem Stück für einen Zaubertrick. Ein Magier rühmt sich damit, dass er Menschen enthaupten und ihnen anschließend die Köpfe wieder aufsetzen kann, ohne dass ihnen etwas passiert ist.“
Bohlan ließ den Kugelschreiber auf den Tisch fallen und blickte Fischer völlig entgeistert an.
„Was haben Sie, Herr Kommissar?“, fragte Fischer verwirrt,
Weitere Kostenlose Bücher