Mord am Niddaufer - ein Kriminalroman
zusätzlich eine SMS. Danach machte er sich trotzig auf den Weg in Richtung Höchster Altstadt, schlenderte durch die engen Gassen, vorbei an Fachwerkhäusern und erfreute sich an der Idylle. Er trank im
Schwanen
ein weiteres Bier und zog weiter zur
Wunderbar
, wo er sich an die Theke setzte und einige Sätze mit dem Barkeeper wechselte. Sehr viel später trat er leicht schwankend auf die Straße und machte sich auf den Heimweg. Es war immer noch ausgesprochen warm, fast schwül.
Samstag
Als Tom Bohlan aufwachte, war es halb sieben. Er ärgerte sich darüber, dass er am Abend zuvor offenbar vergessen hatte, die Jalousien seines Schlafzimmerfensters herunterzulassen. So traf ihn die Helligkeit mit voller Wucht. Er räkelte sich ein wenig hin und her und versuchte, das Sonnenlicht zu ignorieren. Ein Unterfangen, das sich schnell als vergeblich herausstellte. Obwohl Bohlan ein Frühaufsteher war, hätte er heute nichts dagegen gehabt, ein paar Takte länger zu schlafen. Bohlan konnte sich nicht mehr genau daran erinnern, wie er nach Hause gekommen war. Jedenfalls musste er es geschafft haben, sonst würde er jetzt nicht in seinem Bett liegen, sondern irgendwo am Straßenrand oder auf einer Parkbank. Oder in den Schwanheimer Dünen. Die Episode seiner Entführung auf die andere Seite des Mains fiel ihm ein und er musste sogar ein wenig schmunzeln. Damals hatte sich Barbara mit Leib und Seele um ihn gekümmert und ihn in wenigen Tagen wieder aufgepäppelt. Ob sie das heute noch tun würde? Bohlan war sich seiner Sache nicht so sicher. Er tastete nach seinem iPhone. Tatsächlich hatte er eine Nachricht, genauer gesagt sogar mehrere. Er hörte zuerst seine Mail-Box ab und war einigermaßen erfreut, Barbaras Stimme zu hören. Sie klang etwas müde, beinahe erschöpft und entschuldigte sich für den späten Rückruf. Sie bedauerte, dass Tom nicht mehr ran ging, und wünschte eine gute Nacht. Eine gewisse Freude huschte über Bohlans Gemüt. Barbara hatte ihn also doch nicht vergessen. Er rief seine Textnachrichten ab und stellte noch erfreuter fest, dass sie ihm auch dort eine Nachricht hinterlassen hatte. Mit einem Lächeln legte er das iPhone zurück auf den Nachttisch und schwang sich aus dem Bett. Ein leichtes Hämmern begann in seinem Schädel. Er blieb einen Moment auf der Bettkante sitzen und rieb sich die Augen. Starker Kaffee. Eiskalte Dusche. Und wenn alles nicht hilft, dann Oma Will, dachte er und bei Oma Will fiel ihm ein, dass Julia vorbeikommen wollte.
„Willst du heute wirklich arbeiten?“ Marina Weller legte die Hände auf Nataschas Schultern.
„Warum denn nicht? Es ist Samstag und ich brauche das Geld.“ Nataschas Stimme klang fast ein wenig trotzig.
„Ich dachte halt nur wegen der Sache mit Lea. Vielleicht brauchst du einfach ein paar Tage Ruhe.“
„Davon wird Lea auch nicht wieder lebendig.“ Natascha biss in ein Nutella-Brötchen. „Außerdem komme ich auf andere Gedanken.“
Marina Weller setzte sich auf die andere Seite des Frühstückstischs und goss Tee in ihre Tasse. „Wie du meinst. Ich will nur, dass es dir gut geht“, sagte sie seufzend.
„Gut geht es mir so oder so nicht. Aber wenn ich den ganzen Tag zu Hause bleibe, fällt mir nur die Decke auf den Kopf.“
„Wie soll es denn in der Schule weitergehen?“
Natascha zuckte mit den Schultern. „Keine Ahnung. Die Arbeiten für die nächste Woche wurden jedenfalls abgesagt. Was ansonsten an Trauerbewältigung auf uns zukommt, ist noch nicht klar. Die von Lichtenhagen wird sich bestimmt einiges ausdenken.“ Natascha warf einen Blick auf die Uhr. „So, ich muss los, sonst komme ich zu spät.“ Im Aufstehen trank sie das Glas Orangensaft aus und gab ihrer Mutter einen Kuss.
„Tschüss, Mama.“
Wie schnell die Kinder doch erwachsen werden. Marina Weller sah versonnen auf die gerahmten Bilder, die auf dem Sideboard standen. Sie zeigten Natascha und ihren Bruder in allen möglichen Wachstumsphasen. Kindergarten, Einschulung, Konfirmation und ein paar Urlaube dazwischen. Noch vor wenigen Jahren waren die Kinder so klein und brauchten jede Menge Schutz und Geborgenheit. Jetzt machten sie sich langsam auf den Weg, um endgültig auf eigenen Füßen zu stehen. Natürlich brauchten sie auch jetzt noch Schutz und Geborgenheit, auch wenn sie es immer weniger zugeben wollten. Sie hoffte inständig, dass ihre Tochter den Verlust der besten Freundin verkraften würde. Einfach würde das bestimmt nicht und dieser Schicksalsschlag war ein
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