Mord am Niddaufer - ein Kriminalroman
ihrer freien Zeit im Garten verbracht. Doch mittlerweile gab es kaum noch freie Stunden. Und wenn sie einmal ein paar Minuten Ruhe hatte, stand ihr nicht der Sinn nach Unkrautrupfen und Sträucher in Form schneiden. Sie hatte genug damit zu tun, in der Willy-Brandt-Schule für Ordnung zu sorgen. Die Arbeit dort reichte für hundert Gärten. In diesem Moment sah sie den Wagen ihres Mannes auf den Parkplatz rollen. Das Messer glitt durch die Tomaten, haarscharf an ihrem Finger vorbei. Haarscharf am Abgrund, so fühlte sie sich momentan.
„Hallo, Annette.“ Klaus von Lichtenhagens Stimme schallte durch das Haus.
„In der Küche“, schrie sie zurück.
„Was machst du denn schon hier?“ Klaus von Lichtenhagen betrat die Küche und gab seiner Frau einen Kuss auf die Wange.
„Ich habe es in der Schule nicht mehr ausgehalten. Ich musste raus.“
„Das solltest du öfter machen. Die viele Arbeit macht dich noch krank.“
Es ist nicht die Arbeit, die mich krank macht, es sind andere Dinge, die an meiner Seele nagen, dachte Annette von Lichtenhagen. Doch das würde Klaus niemals begreifen. Für ihn funktionierte das Leben nach dem Easy-Going-Prinzip. Für ihn gab es keine Probleme, nur Hürden, die zu überspringen waren. Jede Hürde machte stärker und brachte das Ziel näher. Erfolg zeichnet sich vor allem dadurch aus, wie man mit Problemen umgeht. Das predigte Klaus von Lichtenhagen Land auf, Land ab. Und seit sein populärwissenschaftliches Buch ein Bestseller geworden war, schwamm er umso mehr auf einer Erfolgswelle.
„Ich mache gerade einen Salat. Willst du auch essen?“
„Warum nicht. Ich spring nur schnell unter die Dusche.“
Merkwürdig, dachte Annette von Lichtenhagen. Es war gerade mal früher Abend und Klaus wollte duschen. Er hatte nicht den Eindruck gemacht, gerade vom Sport gekommen zu sein. Und wenn, dann hätte er im Tennisverein geduscht, wie er es immer tat. Wahrscheinlich kam er gerade von einem Stelldichein mit einer seiner Affären. Was soll’s. Wenn er durch fremde Betten turnt, läuft er wenigstens nicht mit dem Messer durch die Gegend. Annette von Lichtenhagen musste laut auflachen. Du schaust zu viel
Desperate Housewives
, Annette, sagte sie zu sich selbst. Tatsächlich war das die einzige Fernsehsendung, die sie regelmäßig sah. Frauen im besten Alter morden und verrohen eine ganze Vorstadtsiedlung. Sie gab die Tomaten in eine Schüssel zu Eisbergsalat und Gurken.
Annette von Lichtenhagen stellte die Salatschüssel auf den Esstisch und zwei Teller nebst Messer und Gabeln auf buntgestreifte Platzdecken. Danach schnitt sie zwei Scheiben Zitrone in eine Wasserkaraffe.
„Es ist lange her, dass wir zusammen gegessen haben“, sagte Klaus von Lichtenhagen und setzte sich.
„Liegt nicht an mir.“
„Ach, komm. Du bist seit Monaten zwölf Stunden am Tag in der Schule.“
„Und wenn ich zu Hause wäre, würdest du mich auch nicht wahrnehmen.“
„Das ist doch Blödsinn. Natürlich würde ich das.“ Klaus von Lichtenhagen setzte sein Lächeln auf, das jede Frau dahinschmelzen ließ. Wenn er etwas konnte, dann war es, Frauen für sich einzunehmen. Annette wusste es seit über zwanzig Jahren und an seiner Anziehungskraft hatte er in der langen Zeit nichts eingebüßt. Affären waren gekommen und gegangen. Sie war geblieben. Sie war die Konstante in seinem Leben, weil sie zu ihm stand, egal, was passierte.
„Sie haben schon wieder eine tote Schülerin gefunden.“
„Wieder die Nidda?“ Seine Stimme klang betont sachlich.
„Nein. Ein kleines Waldstück. Irgendwo neben den Bahngleisen.“
„Schlimm. Scheint ein Serienmörder zu sein.“
„Angeblich fehlt wieder der Kopf.“
Klaus von Lichtenhagens Blick glitt an seiner Frau ab, wanderte zum Fenster. Er hob das Wasserglas und nahm einen Schluck.
„Es ist die Freundin von dem ersten Mädchen.“
„Aha.“
„Ist das alles, was dir dazu einfällt?“ Annette von Lichtenhagen ließ die Gabel auf den Teller fallen. Ihr Mann sah sie erstaunt an. Verständnislosigkeit zeichnete sich in seinem Gesicht ab. „Ich habe Angst, dass uns alles auf die Füße fällt, dass das ganze Kartenhaus in sich zusammenfällt, dass alles zurückkommt.“
„Du lieber Himmel. Annette, beruhige dich. Du bist ja völlig durcheinander.“
„Ja, das bin ich und es hat einen Grund. Die wollen uns fertig machen. Die wollen mich vernichten. Klaus, begreif das doch endlich. Die Morde sind kein Zufall. Als ich dieses Mädchen, Lea, gesehen habe,
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