Mord am Niddaufer - ein Kriminalroman
handeln. Ich hatte vorhin die ausdrückliche Anweisung gegeben, die Schulleitung über den Tod der Schülerin zu informieren.“ Bohlan war bemüht, einen entschuldigenden Gesichtsausdruck aufzusetzen.
„Na dann“, sagte von Lichtenhagen knapp. „Im Eifer des Gefechts kann immer mal etwas schieflaufen. Trotzdem sollten Sie Ihre internen Abläufe besser im Griff haben.“
„Selbstverständlich. Ich werde der Sache nachgehen.“
Zum ersten Mal huschte ein Lächeln über von Lichtenhagens Gesicht. „Dürfte ich noch erfahren, warum Sie Herrn Fischer vom Unterricht abhalten?“
„Das war natürlich nicht meine Intention. Eigentlich war ich auf dem Weg zu Ihnen. Durch Zufall habe ich Herrn Fischer hier getroffen. Da er Nataschas Tutor war, wollte ich die Gunst der Stunde nutzen ...“
„Gut. Dann kann Herr Fischer jetzt in seine Klasse gehen und wir können in meinem Büro weiterreden.“ Von Lichtenhagen blickte selbstzufrieden. „Oder haben Sie noch Fragen an Herrn Fischer?“
Bohlan schüttelte den Kopf. „Vorerst nicht.“
Nachdem Bohlan und von Lichtenhagen die Aula verlassen hatten, griff Fischer nach seiner Tasche und hängte sie über seine Schulter. Langsam schritt er zur Tür und legte die Hand auf die Klinke. Bevor er sie herunterdrückte, drehte er sich noch einmal um und schaute auf die Bühne. Wie aus dem Nichts sah er Nataschas Gestalt dort auf- und abgehen und ihren Text aufsagen. Tiefe Traurigkeit erfüllte ihn. Er würde Nataschas Lachen nie wieder hören können. Niemals wieder würden ihre Ausgelassenheit und ihre Lebensfreude sein Leben bereichern. Überhaupt: Was sollte jetzt aus seinem Leben werden? Eine merkwürdige Leere legte sich über sein Gemüt. Was hatte das alles noch für einen Sinn? Alle Träume, die er in den letzten Monaten geträumt hatte, waren wie eine riesige Seifenblase zerplatzt. Er hatte immer gewusst, dass er ein gefährliches Spiel spielte. Um ein Haar hätte er alles aufs Spiel gesetzt, was er in seinem Leben erreicht hatte. Dann schien er einen Weg gefunden zu haben, um beides miteinander vereinen zu können: das, was er erreicht hatte, und die neue Liebe, die er gefunden hatte. Doch nun war alles dahin. Natascha war tot und es schien nur eine Frage der Zeit, wann sein restliches Leben wie ein Kartenhaus zusammenstürzen würde.
Tom Bohlan kehrte mit schlechter Laune zu seinem Auto zurück. Die Ermittlungen an der Willy-Brandt-Schule waren mehr als schlecht gelaufen. Wenn man überhaupt von Ermittlungen sprechen konnte. Das Gespräch mit Andreas Fischer hatte zwar einige markante Details über dessen Liebesleben aufgedeckt, doch wirklich weiter hatte ihn das nicht gebracht. Immerhin wusste er nun, was der Lehrer wirklich in der Gartenlaube seines Kollegen getrieben hatte und warum er um die ganze Sache ein solches Geheimnis gemacht hatte. Unverdächtig war Fischer auf den ersten Blick natürlich nicht – im Gegenteil. Er war mit einer Schülerin liiert und das schon eine ganze Weile. Andererseits war dies natürlich noch lange kein Grund, diese umzubringen. Es sei denn, er hatte die Beziehung beenden wollen und Natascha hatte ihm damit gedroht, alles auffliegen zu lassen. Möglich wäre so eine Verstrickung natürlich, doch dafür gab es momentan keine Anhaltspunkte. So, wie Fischer sich ihm gegenüber präsentiert hatte, war er über Nataschas Tod mehr als entsetzt. Viel zu entsetzt, um selbst der Täter zu sein. Dennoch glaubte Bohlan fest daran, dass die Lösung des Falls etwas mit dem Dreieck Lea Schuster, Natascha Weller und Andreas Fischer zu tun haben musste. Irgendetwas an dieser Konstellation gefiel ihm nicht, auch wenn er das noch nicht mit harten Fakten unterfüttern konnte. Was wollte Lea in der Mordnacht von Fischer? War sie eifersüchtig? Hatte sie etwas herausgefunden? War möglicherweise die Affäre zwischen Fischer und Natascha der Grund für ihren Gesprächsbedarf? Es gab einfach zu viele Ungereimtheiten. Bohlan brummte der Schädel.
Annette von Lichtenhagen stand in der Küche ihrer Villa in Kronberg und schnitt Tomaten in Scheiben. Im Hintergrund dudelte das Radio vor sich hin. Ab und an warf sie einen Blick durch das Küchenfenster in den Vorgarten. Die Sträucher mussten mal wieder gestutzt werden. Sie waren seit dem letzten Schnitt enorm gewachsen. Überhaupt drohte der Garten allmählich zu verwildern. Seit sie die Stelle als Schulleiterin ausübte, führte die Gartenarbeit ein kümmerliches Dasein. Früher hatte sie jede Sekunde
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