Mord am Niddaufer - ein Kriminalroman
eine glückliche Beziehung zu führen und das seit über zwanzig Jahren. Sie berichtete von ihren Kindern, Bernadette und Benjamin, die beide viel vom Wesen ihres Mannes geerbt hätten. Irgendwann kam Bohlan der Gedanke, dem Schauspiel ein Ende setzen zu müssen. Er sprach kurz über die Theater-AG und die toten Mädchen. Dann stellte er die alles verändernde Frage. „Haben Sie nicht manchmal Angst, dass ein so beliebter Lehrer den Reizen der hübschen Schülerinnen erliegen könnte?“
Katharina Fischer sah Bohlan und Will eine ganze Zeit lang an. Obwohl äußerlich nichts darauf hindeutete, dass es in ihrem Inneren zu arbeiten begann, glaubte Bohlan, in ihrem Gesicht Anzeichen genau dafür zu erkennen. Er rechnete damit, dass es jederzeit zu einem Gefühlsausbruch kommen könnte. Bei Katharina Fischer hingegen war es anders. Als sie den Mund öffnete, um weiter zusprechen, hatte sich der Tonfall ihrer Stimme um keine Nuance verändert.
„Dann sind wir jetzt an dem Punkt angekommen, den ich zu vermeiden suche“, sagte Katharina Fischer. „Wissen Sie, die Ehe ist für mich etwas Heiliges. Etwas, dass man sich einmal versprochen hat. Aber das Leben geht manchmal andere Wege. Trotzdem glaube ich, dass am Ende des Weges alles wieder ins Lot kommt.“ Die Lehrerin machte eine Pause und schenkte sich ein Glas Wasser ein. Bevor sie weitersprach, trank sie es zur Hälfte aus. „Bei uns war es so, dass ich diejenige war, die zuerst an dem Versprechen gescheitert ist. Ich habe seit einiger Zeit eine Beziehung zu einem anderen Mann. Ich wollte nicht, dass so etwas passiert, aber es war nicht zu verhindern. Er war zu hartnäckig in seinem Werben.“
„Wie lange schon?“
„Fast ein Jahr.“
„Haben Sie über Trennung gesprochen“, fragte Will.
„Aber nein, wo denken Sie hin. Wir haben gar nicht darüber gesprochen. Ich habe meinem Mann nichts davon erzählt, aber ich glaube, dass er es weiß. Genauso wie ich weiß, dass er etwas mit einer Schülerin hat, auch wenn er es mir nicht verraten hat. Wir reden darüber nicht miteinander, aber trotzdem kommunizieren wir.“
„Und wie steht Ihr Liebhaber dazu?“
„Wie soll er dazu stehen? Er ist ein erfolgreicher Unternehmensberater und Personal-Coach aus Kronberg und dazu verheiratet.“
Als Tom Bohlan am Abend nach Hause kam, war er ernüchtert. Die Fassade der angeblichen Vorzeigefamilie war zerbröselt wie ein seit Jahrzehnten baufälliges Haus. Die wohl größte Überraschung hatte Katharina Fischer bereitgehalten. Bevor Bohlan das Gespräch Revue passieren ließ, holte er sich eine Bierflasche, öffnete sie und setzte sich auf das Deck seine Bootes. Er ließ den Blick über das Wasser gleiten und schloss die Augen, um den Film über das Gespräch mit Katharina Fischer vor seinem inneren Auge abspielen zu lassen. Als er damit fertig war, öffnete er die Augen und führte die Bierflasche zu seinem Mund. Er nahm zwei, drei kräftige Schlucke. Menschliche Abgründe taten sich überall auf. Nichts auf dieser Welt war so, wie es schien. Manchmal kam es ihm so vor, als offenbarten nur die angeblich Verrückten ihr wahres Angesicht. Die angeblich normalen Menschen, die einem geregelten Leben nachgingen, funktionierten und trugen Masken, hinter denen sie ihr wahres Ich verbargen. Ein Bild, das den Kommissar wieder zum Kopfjäger führte. War er einer dieser Menschen, die keine Maske trugen? Wenn dem so war, musste er denjenigen finden, der mit offenem Visier durch die Gegend lief. Doch woran kann man ein maskenloses Gesicht erkennen? Ein lautes Hupen riss Bohlan aus seinen Gedanken. Verwirrt blickte er auf und registrierte einen Fiat 500, der auf der Promenade oberhalb des Hausbootes stand.
„Julia, was machst du denn um diese Zeit noch hier? Du solltest dich um deinen Freund kümmern.“
„Der muss noch warten. Ich habe im Internet eine Entdeckung gemacht, die ich unbedingt mit dir teilen wollte“, sagte Julia, als sie sich auf den zweiten Stuhl an Deck gesetzt hatte.
„Und deshalb kommst du extra vorbei? Willst du auch ein Bier?“
„Gerne. Um ehrlich zu sein, war dies auch der Grund, herzukommen. Am Wasser sitzen und ein Bierchen zischen.“ Will grinste zufrieden, als sie eine Flasche Budweiser entgegennahm.
„Dann schieß mal los.“
„Als ich zu Hause war, habe ich über die Gespräche heute Nachmittag noch mal nachgedacht“, begann Will und nahm einen Schluck aus der Flasche. „Zwei Dinge haben mich besonders beschäftigt. Das eine ist die
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