Mord am Niddaufer - ein Kriminalroman
ging nur die Mailbox ran, wie so oft in der letzten Zeit. Bohlan versuchte, schöne Worte zu finden, doch war sich selbst nicht sicher, ob er mit seinem Gestottere die Lage nicht noch schlimmer machte. Nachdem er das Telefon zur Seite gelegt hatte, blickte er noch einige Zeit auf das dunkle Wasser. Irgendwann wurden die Augenlider schwer und er machte das Licht wieder aus. Mit dem Einschlafen klappte es immer noch nicht. Er wälzte sich eine weitere halbe Stunde von der einen Seite auf die andere und entschloss sich schließlich dazu, ins Wohnzimmer zugehen, wo der letzte Rettungsanker lauerte: die Glotze. Er zappte sich durch die Programme und blieb schließlich bei einer Talkshowwiederholung vom Abend hängen. Genau das Richtige, dachte Bohlan. Ich lass mich einfach in den Schlaf schwatzen. Doch da hatte der Kommissar die Rechnung ohne Markus Lanz gemacht. Bohlan wurde geblendet von einer gelackt strahlenden Studiobühne und einer stattlichen Anzahl von Teflon-Typen, die in Sesseln aufgereiht saßen und breit und schmierig mit dem Moderator um die Wette grinsten. Der Kommissar ließ sich eine Zeit lang von belanglosen Storys aus der Promi-Inzest-Welt vollduseln und fragte sich, wer eigentlich die Gästelisten für solche Sendungen zusammenstellte? Vermutlich niemand. Die Talkmaster dürfen sich einfach gegenseitig zum Quasseln und Kochen einladen. Es muss schlimm um mich bestellt sein, wenn ich selbst bei solchen Langweilern nicht mehr einschlafen kann. Da er aber auch keine Lust auf Gerichtsshows oder gestellte Milieudokus hatte, entschied er sich letztlich zu einer historischen Dokumentation im Nachrichtenkanal, bei der er dann tatsächlich im Morgengrauen seinen Schlaf fand.
Donnerstag
Als Bohlan erwachte, blickte er in das Gesicht einer brünetten Schönheit, die ihn mit einem Lächeln in die Härte der realen Welt zurückholte: sinkende Aktienkurse, steigende Staatsverschuldung und zunehmende Unruhen im Proletariat Südeuropas. Bohlan drückte auf die Fernbedienung und freute sich über die einsetzende Ruhe. Er ging zur Tür, die auf das Deck führte, und schob den Vorhang zur Seite. Die Sonne schien bereits und der Himmel war blau – wie seit Tagen. Er öffnete die Tür und trat auf das Deck. Während er seine Lunge mit der leicht fischig riechenden Luft vollpumpte, betrachtete er die verträumt wirkende Höchster Silhouette. Die alten Mauern des Schlosses, die die Stadt zum Ufer hin abgrenzten, hatten etwas Romantisches, obwohl Romantik so ziemlich das Letzte war, das Bohlan einfiel, wenn er an den Zustand des Stadtteils dachte. Aber im alten Ortskern war die Welt irgendwie noch in Ordnung. Auf dem Nachbarboot, das ein Restaurant und ein Hotel beherbergte, war es noch ziemlich ruhig. Bohlan fragte sich, wie spät es eigentlich war? Merkwürdigerweise hatte er nicht, wie sonst üblich, zuerst auf die Uhr geschaut, nachdem er erwacht war. Obwohl er vermutlich nur wenige Stunden geschlafen hatte, fühlte er sich recht ausgeruht. Der fehlende Schlaf würde sich wahrscheinlich erst im Laufe des Tages bemerkbar machen. Er blickte nach unten, wo sich auf dem kleinen Deck vor dem ehemaligen Maschinenraum seit einiger Zeit zwei Schwäne eingenistet hatten. Sie lagen auf den Holzplanken und sonnten sich. Was für ein Leben, dachte Bohlan und wunderte sich, dass die ganzen Bilder, die der neue Tag ihm bescherte, so gar nicht zu seinem Befinden passen wollten. Schlechte Inszenierung. Warum gab es nicht Nebel, Nieselregen und Dunkelheit? Oder sollte dieser Tag tatsächlich Licht in den Fall des Kopfjägers bringen?
Michael Pergande verkörperte das komplette Gegenteil von Andreas Fischer. Er war weder besonders sportlich, noch kleidete er sich jugendlich. Vielmehr neigte er ein wenig zu Fettleibigkeit, trug ausgelatschte Schuhe, Discounter-Jeans und ein No-Name-Polo-Shirt. Mit Sicherheit hatte er bei den Schülern keinen leichten Stand. Pergande entsprach bei weitem nicht dem Ideal eines Sympathieträgers, vor allem nicht bei heranwachsenden Jugendlichen. Für die meisten war er einfach nur uncool. In jedem Fall schien Pergande seine Lebenszeit nicht mit dem Herrichten seines Äußeren verplempern zu wollen.
„Was kann ich für Sie tun, Herr Bohlan?“ In Pergandes Tonfall lag eine Spur Überheblichkeit. Bohlan hatte ihn angesprochen, als er die Schule betreten wollte.
„Sie haben die beiden toten Mädchen unterrichtet.“
„Ist das ein Verbrechen?“
„Natürlich nicht“, sagte Bohlan und fügte nach einem
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