Mord am Niddaufer - ein Kriminalroman
und zwar mehrheitlich. Frau von Lichtenhagen sieht es aber eher so, dass sie Themen mit uns bespricht, Entscheidungen aber ausschließlich von ihr getroffen werden und zwar völlig losgelöst davon, was die Mehrheit des Kollegiums will. Mittlerweiler schieben alle nur noch Dienst nach Vorschrift.“
„Gibt es denn nicht so etwas wie eine erweiterte Schulleitung?“, wollte Bohlan wissen.
Pergande lachte auf. „Ja, die gab es einmal. Frau Fritz, die Konrektorin, ist seit Monaten krank geschrieben. Weiß der Teufel, ob die nochmal zurückkommt. Die beiden anderen haben Versetzungsanträge gestellt.“
„Kann man denn nichts dagegen unternehmen?“
Pergande lachte erneut auf. „Was schlagen Sie denn vor?“
„Eine Beschwerde bei der nächst höheren Stelle, zum Beispiel.“
„Haben wir alles schon versucht!“ Pergande machte eine wegwerfende Handbewegung. „Aber da beißt man auf Granit. Das Schulamt steht voll hinter der Rektorin. Der Leiter des Schulamtes und seine Rechtsberaterin waren schon drei Mal bei Konferenzen dabei. Und immer haben sie von Lichtenhagen unterstützt. Warum, weiß der Henker. Ich kann mir nicht vorstellen, dass sie von ihrer Kompetenz überzeugt sind, aber sie muss einflussreiche Freunde haben.“
„Wissen Sie etwas über die privaten Verhältnisse?“
Pergande schwieg einen Moment, als müsse er seine Gedanken sortieren.
„Nicht wirklich. Wie gesagt, sie ist mit diesem Coaching-Star verheiratet, hat zwei erwachsene Kinder und wohnt in einer Villa in Kronberg.“
Bohlan klappte seinen Block zusammen, auf dem er die ganze Zeit Notizen angefertigt hatte. Fürs Erste hatte er genug gehört, wenn er auch das Gefühl nicht los wurde, dass Pergande noch mehr wusste, als er gesagt hatte. Aber eigentlich war er auf der Suche nach Andreas Fischer.
„Wir haben gestern bei den Fischers einige pikante Details in Erfahrung gebracht“, begann Julia Will ihren Bericht. Sie hatte, nachdem sie mit Bohlan die neuesten Erkenntnisse besprochen hatte, noch in der Nacht detaillierte Notizen zu Papier gebracht. Während sie diese Steininger und Steinbrecher vortrug, ließ sie ihren Blick über das Whiteboard schweifen und blieb an einem Zettel hängen, den sie dort vor einigen Tagen angepinnt hatte: „Der Junge im MTZ?“ Will geriet ins Stocken und überlegte. Es musste Samstag gewesen sein, als sie mit Bohlan im Main-Taunus-Zentrum gewesen war, um Natascha Weller ein wenig auf den Zahn zu fühlen. Nach dem Gespräch mit dem Mädchen hatten sie einen Kaffee getrunken, als dieser Junge in Richtung
Hollister
an ihnen vorbeistürmte. Irgendwo hatte sie ihn schon einmal gesehen. Sie wusste nur nicht wo. Immer wenn sie einen solchen Gedankenhänger hatte, machte sie sich Notizen. In dem Tohuwabohu der letzten Tage musste sie diesen Zettel vergessen haben.
„Und ihr meint also, dass Fischers Sohn etwas mit den Morden zu tun hat“, fragte Steinbrecher.
„Möglicherweise. In jedem Fall sollten wir sein Alibi überprüfen.“
Will schob Steinbrecher den Zettel mit Benjamin Fischers Mannschaftskollegen zu. „Nehmt euch diese Herrschaften einmal vor.“
„Wo bleibt eigentlich Tom?“, wollte Steininger wissen.
„Der wollte heute Morgen noch einmal zur Willy-Brandt-Schule.“
„Alleine? Und was macht er dort?“
„Höre ich da so etwas wie leise Skepsis an Toms Ermittlungsstil?“
„Nein, nein. War nur so eine Frage.“ Steininger hob abwehrend die Hände.
„War nur so ein Spruch“, konterte Will.
Steininger lächelte etwas schief. Lag Erleichterung oder Verunsicherung in seinem Gesicht? Irgendwas stimmte mit Jan nicht. Er machte schon wieder so komische Wesensveränderungen durch. Steininger war längst nicht mehr das unbeleckte Greenhorn wie einst. In den letzten Jahren war er zunehmend gereift – und zwar in vielerlei Hinsicht. Er hatte sich eine sportlichere Figur zugelegt und trat deutlich selbstbewusster auf. Will hatte dies alles wohlwollend beobachtet. Für die Arbeit im Team waren eigenständige Persönlichkeiten wichtig. Schließlich erwuchs die Stärke des Teams immer aus der Summe seiner Teile. Aber in den letzten Tagen waren ihr einige Dinge an Steininger aufgefallen, von denen sie nicht wusste, wie sie sie einordnen sollte.
Manchmal denkt man an das Logischste zum Schluss. Tom Bohlan hatte die Suche nach Andreas Fischer bereits aufgeben wollen, als ihm ein Gedanke in den Kopf schoss. Mit einem Mal schien alles sonnenklar. Warum war ihm diese Idee nicht schon viel
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