Mord am Niddaufer - ein Kriminalroman
früher in den Sinn gekommen? Schließlich war die Aula so etwas wie Fischers zweites Wohnzimmer. Keine Ahnung, warum er die ganze Schule abgegrast hatte. Bohlan stand vor der Eingangstür und legte die Hand auf die Klinke, als er sich von einem Hauch erfasst fühlte, der ihm auf eine merkwürdige Art und Weise unheilbringend erschien. Für gewöhnlich war er ein absoluter Realist, der sich an Fakten hielt und dessen Ermittlungsarbeit nicht von Eingebungen lebte. Sicher, das eine oder andere Mal hatte er mit Instinkt einen Fall gelöst. Bohlan führte diesen Umstand allerdings mehr auf seine Menschenkenntnis zurück, denn auf übernatürliche Eingebungen. Diesmal allerdings war es anders. Er glaubte, eine erbarmungslose Kälte zu spüren, die nur der Tod ausstrahlen konnte.
Nachdenklich betrachtete Annette von Lichtenhagen das Foto, das auf ihrem Schreibtisch stand. Es war schon einige Zeit her, dass es aufgenommen worden war. Sie überlegte. Zehn Jahre waren seitdem bestimmt vergangen. Jedenfalls hatte sie damals noch ein intaktes Familienleben geführt. Alle lächelten froh und glücklich. Es war kein aufgesetzte Lächeln, sondern natürlich und ungezwungen. Wenn sie sich recht erinnerte, war das Bild vor einer Finca auf Mallorca aufgenommen worden. Sie hatten sie damals für drei Wochen gemietet und Klaus war tatsächlich die ganze Zeit dabei gewesen. Sie verengte das Gesichtsfeld auf sein Konterfei. Auch er wirkte glücklich, hatte seinen Arm um ihre Hüfte gelegt und lächelte in die Kamera. Es kam ihr vor, als könne sie den Druck seiner Hand noch immer auf der Haut spüren. Ihre Hand fuhr langsam nach vorne und berührte das Foto. Sie streichelte über seine Wange. Wenn es Momente im Leben gab, die man für immer festhalten sollte, dann gehörten die Tage in der Finca auf jeden Fall dazu. Bis vor wenigen Wochen hatte sie nicht geglaubt, dass solche Tage noch einmal wiederkehren könnten. Es schien, als suchte Klaus ihre Nähe. Gestern war er unerwartet aufgetaucht und hatte mit ihr zusammen gegessen. Das hatte es schon lange nicht mehr gegeben. Warum tat er dies? Sie hatten sich lange über die Ereignisse an der Schule unterhalten und Klaus hatte sich über alles sehr interessiert gezeigt, hatte ihr zugehört und nachgefragt. Vor allem die Details über die Morde an den beiden Schülerinnen hatten ihn interessiert. Aber auch zu Andreas und Michael hatte er die eine oder andere Frage gehabt. Eine gemeinsame Vergangenheit verbindet eben mehr, als man denkt. Annette von Lichtenhagen lächelte in sich hinein. Sie rückte das Bild ein wenig zurecht. Was ihr aber immer noch nicht so recht einleuchten wollte, waren die Beweggründe für sein Auftauchen heute Morgen. Sie war mit einer Tasse Kaffee in der Hand aus der Lehrerküche zurückgekehrt. Wie jeden Morgen war ihr dort eine eisige Kälte entgegengeschlagen. Wenn ein Kollege sie begrüßte, dann war das schon fast so etwas wie ein Wunder. Die meisten versuchten, einer Begegnung aus dem Weg zu gehen, wichen zurück, wenn sie sie von Weitem kommen sahen. Als sie das Sekretariat betrat, blickte die Schulsekretärin auf.
„Ich habe ihn schon mal reingelassen“, war sie begrüßt worden.
„Wen?“
„Ihren Mann. Ich dachte, Sie wissen, dass er kommt.“
Tatsächlich hatte Klaus an ihrem Schreibtisch gesessen und das Foto in der Hand gehalten. „War ein toller Urlaub“, hatte er gesagt, als sie das Zimmer betreten hatte. Danach hatten sie ein wenig geplaudert und dann war er wieder gegangen. Einen wirklichen Grund für seinen Besuch schien es nicht gegeben zu haben. Sie lehnte sich in ihrem Stuhl zurück und drehte ihn ein wenig zur Seite. Ihr Blick glitt durch den Raum. Es war eigentlich ein schönes Büro, wenn man von der Einrichtung absah. Wenn der ganze Spuk vorbei ist, werde ich das hier alles mal gründlich renovieren, dachte sie, während ihr Blick an dem Schlüsselkasten hängen blieb, der neben der Tür hing, und dann machte sie eine Entdeckung, die sie erschaudern ließ.
Tom Bohlan stand noch immer wie schockgefrostet im Türrahmen der Aula und blickte auf das gruselige Szenario, dass sich ihm auf der Bühne bot. Wie immer stand in ihrer Mitte ein Tisch mit vier Stühlen, von denen allerdings drei auf dem Boden lagen, als hätte sie jemand umgeworfen. Auf dem Tisch stand eine Vase, in der sich eine abgeknickte Lilie befand. Boden und Requisiten waren mit Blut überströmt. Bohlan musste an die Metapher denken, die ihm Julia erzählt hatte. „Was
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