Mord am Niddaufer - ein Kriminalroman
verschwinden. Bohlan eilte zur Tür und gab der Spurensicherung erste Anweisungen, dann bedeutete er Will, zu ihm zu kommen. „Komm, wir gehen einen Stock höher. Diesmal will ich es sein, der von Lichtenhagen über das hier in Kenntnis setzt“, raunte Bohlan und fügte mit einem leicht ironischen Unterton hinzu: „Sonst unterstellt sie mir wieder irgendwelche Intrigen.“
Annette von Lichtenhagen hatte sich von ihrem Platz erhoben und war auf halbem Weg zur Tür ihres Dienstzimmers, als Bohlan die angelehnte Tür aufstieß. Erschrocken blickte die Schulleiterin den Kommissar an und setzte zu einem Kommentar an, doch Bohlan kam ihr zuvor.
„Bevor Sie sich darüber beklagen, dass wir so Knall auf Fall hier reinstürzen, sollten Sie sich wieder setzen und zuhören.“
Die Rektorin blieb mit leicht geöffnetem Mund in der Mitte des Raums stehen und sah aus wie eine Schauspielerin, die ihren Text vergessen hatte. Will fasste sie an der Schulter und führte sie zu ihrem Platz. Die Szene wirkte grotesk und surreal. Bohlan hatte Annette von Lichtenhagen bislang als eine Frau kennengelernt, die zu jeder Zeit Herrin der Lage war. Nun hinterließ sie den Eindruck einer willenlosen Marionette. Erst als sie wieder auf ihrem Stuhl thronte, kehrte die alte Selbstsicherheit zurück.
„Ich nehme an, dass Sie für diesen Auftritt eine Erklärung haben.“
Da war sie also wieder, die alte Annette von Lichtenhagen, selbstsicher und schneidend. Kein Wunder, dass sie im Kollegium auf so wenig Gegenliebe stieß. Bohlan hatte größte Lust, den Missmut und die Verachtung zu thematisieren, die er in den vielen Gesprächen mit den Lehrern vernommen hatte, doch das führte momentan zu weit. Und eigentlich ging es ihn auch nichts an. Bohlan entschied sich, schnell zur Sache zu kommen.
„Es gibt ein weiteres Opfer“, sagte er knapp.
„Wer ist es diesmal?“ Von Lichtenhagens Stimme klang merkwürdig lakonisch.
„Diesmal ist es keine Schülerin, sondern einer Ihrer Lehrer.“ Bohlan machte eine Pause, um von Lichtenhagens Reaktion zu analysieren. Tatsächlich wirkte sie erneut geschockt. Die Farbe war aus ihrem Gesicht gewichen, als sei sie von einer üblen Vorahnung ergriffen.
„Andreas Fischer“, sagte Bohlan und von Lichtenhagen riss die Augen auf.
„O Gott.“ Die Rektorin starrte zur Decke, ihre Hände zitterten leicht.
„Er sitzt enthauptet auf der Bühne der Aula.“
„Soll ich Ihnen ein Glas Wasser bringen lassen?“, fragte Will fürsorglich.
„Es geht schon“, hauchte von Lichtenhagen, die sich wieder zu sammeln schien.
„Wann haben Sie Herrn Fischer zuletzt gesehen?“
„Das ist noch nicht lange her. Heute Morgen vor Schulbeginn“, entgegnete von Lichtenhagen wieder mit einer festeren Stimme. „Wir hatten ein kurzes Gespräch.“
„Worum ging es?“
„Andreas, ich meine Herr Fischer, hat mir von seiner Entscheidung berichtet, die Arbeit der Theater-AG für dieses Schuljahr zu beenden.“
„Waren Sie von dieser Entscheidung überrascht?“
„Nein. Ich selbst hatte ihm das bereits vor Tagen nahegelegt. Wenn er es nicht von sich aus entschieden hätte, hätte ich diese Entscheidung getroffen.“
Bohlan machte sich einige Notizen, bevor er die nächste Frage stellte.
„Wissen Sie, wohin Herr Fischer nach diesem Gespräch gegangen ist?“
„Er wollte noch einmal in die Aula.“
„Was wollte er da?“
„Ein paar persönliche Sachen holen.“
„Hätte er das auch nicht in den nächsten Tagen tun können?“
„Nein, er sollte den Aula-Schlüssel bei mir abgeben.“
„Warum denn das?“
„Weil er keinen Zugang zur Aula haben muss, wenn keine Proben mehr stattfinden.“
Bohlan nickte. „Ist Ihnen irgendetwas an Herrn Fischer aufgefallen?“
„Nein, eigentlich nicht.“
„Wir werden die Aula noch einige Zeit absperren müssen“, sagte Bohlan.
Von Lichtenhagen nickte tonlos.
Nach dem Gespräch mit Annette von Lichtenhagen begab sich Bohlan in die Aula, wo er sich nach dem Fortgang der Spurensicherung erkundigen wollte. Will hingegen plante, sich ein wenig auf dem Schulhof umzuschauen. Sie lief die Treppen nach unten und stellte sich auf einen der Pausenhöfe, von dem sie wusste, dass er bevorzugt von den Schülern der Oberstufe genutzt wurde. Sie setzte sich auf eine Bank und genoss für einen Moment die Sonne. Ein Pärchen schlenderte den Schulhof entlang. Am Ausgang blieben sie stehen und küssten sich leidenschaftlich. Schön, wenn die Welt noch so einfach, unkompliziert und
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