Mord am Oxford-Kanal
weiß. Ich habe Sie auch
gar nicht gebeten, hierzubleiben, oder? Ich fahre einfach mit der Bahn zurück.
Derby, Birmingham, Banbury — kein Problem!»
«Sind Sie sicher, Sir?»
«Ganz sicher. Ich hoffe, es
macht Ihnen nichts aus, allein zurückzufahren, Lewis?»
Lewis schüttelte den Kopf.
«Dann mache ich mich am besten gleich auf den Weg.»
«Ja, tun Sie das. Und fahren
Sie nicht so schnell!»
«Soll ich Sie unterwegs noch
bei irgendeinem Hotel absetzen?»
«Nein, nicht nötig. Ich suche
mir später etwas.»
«Sieht eher so aus, als hätten
Sie bereits etwas gefunden, Sir», bemerkte Lewis hellsichtig.
«Ah ja?»
Während Lewis den Lancia mit
Höchstgeschwindigkeit auf dem Zubringer in Richtung M1 steuerte, lächelte er still
vor sich hin. Er hatte den Chef selten so glücklich gesehen.
Epilog
Der
Name eines Menschen ist ein betäubender
Schlag,
von dem er sich nie wieder erholt.
Marshall
McLuhan, Understanding Media
Am Morgen des 11. Januar, eines
Freitags (er hatte am 2. Januar wieder zu arbeiten begonnen), bestieg Morse den
Frühexpreß nach Paddington. Um elf Uhr sollte er auf dem Hendon-Symposium zum
Thema «Das Verbrechen in der Großstadt» sprechen. Er hatte sich überlegt, daß
er mit der U-Bahn bis King’s Cross fahren und ab da die Linie nach Norden
nehmen würde. Das war unkompliziert und bequem. Er fuhr gern mit dem Zug, und
als der Straßenverkehrsbericht für heute auf der M40 Glatteis angekündigt
hatte, hatte ihm dies die Entscheidung, den Lancia zu Hause stehenzulassen,
erleichtert. Und außerdem brauchte er sich jetzt keinen Zwang anzutun, falls
alkoholische Getränke angeboten würden.
Am Bahnhofskiosk hatte er die Times und die Oxford Times erstanden, sich einen Platz in einem Abteil am Ende
des Zuges gesucht und gleich darauf begonnen, das Kreuzworträtsel in der Times zu lösen. Als der Zug Didcot erreichte, hatte er es, bis auf ein einziges Wort,
bereits gelöst. Ein schneller Blick in sein Lexikon hätte ihm weitergeholfen,
aber natürlich hatte er es nicht dabei, und wie immer, wenn er etwas nicht
gleich zu Ende bringen konnte, ärgerte er sich. Schnell entschlossen trug er
einige beliebige Buchstaben in die freien Kästchen ein, für den Fall, daß einer
seiner Mitreisenden ihn beobachtet hätte. In Reading nahm er sich das
Kreuzworträtsel in der Oxford Times vor. Es war wieder von «Quichote»
ausgedacht, und Morse lächelte, als er daran dachte, wie Waggie für
«berühmteste Ente der Welt» stolz «Donald» eingetragen hatte. Das Rätsel jetzt
war nicht besonders amüsant, aber auch ganz nett. Nach zwölf Minuten war er
damit fertig.
Aus den Augenwinkeln nahm Morse
wahr, daß sie soeben Maidenhead passiert hatten. Er öffnete seine Aktentasche
und entnahm ihr einen Stapel Konferenzpapiere. Gleich obenauf lag die Liste der
Teilnehmer. In der Spalte A bis D war keiner, den er kannte, und so überflog er
die nächste, E bis F:
Eagleton
Ellis
Emmett
Erskine
Farmer
Favant
Fielding
Tom Eagleton, ja den kannte er;
Jack Farmer ebenfalls; und...
Morse hielt inne und
betrachtete nun den mittleren der drei mit «F» beginnenden Namen. Favant... Der
Name kam ihm irgendwie vertraut vor. Doch woher bloß? Ein ausgefallener Name.
Morse überflog die anderen Namen, als es ihm plötzlich einfiel. Natürlich.
Favant war der Mann gewesen, der zu der Zeit, als Joanna angeblich ermordet
worden sein sollte, den Treidelpfad am Oxford-Kanal entlanggekommen war, der
Mann, der vermutlich im «Nag’s Head» übernachtet hatte und den man hinterher
nicht mehr hatte auffinden können, Weil sich «seine Spuren verloren hatten».
Eine mysteriöse Figur. Favant war vielleicht nicht einmal sein richtiger Name
gewesen, es hatte ja an und auf dem Kanal schließlich genug Männer gegeben, die
Decknamen besaßen. Auch zwei der Schiffer auf der Barbara Bray hatten
sich ja, wie man wußte, ein «Alias» zugelegt. So hieß Alfred Musson eigentlich
Alfred Brotherton, Walter Towns’ richtiger Name lautete Walter Thorold.
Vielleicht gab es irgendeinen tiefsitzenden psychologischen Grund, daß
Kriminelle fast nie ganz auf ihren Namen verzichteten, selbst wenn dadurch die
Gefahr einer Entdeckung für sie größer wurde. Morse jedenfalls hatte das
während seiner langen Jahre als Polizeibeamter des öfteren erlebt. Es war, als
sei der Name eines Mannes gewissermaßen ein so wesentlicher Teil von ihm, daß
er ihn auf keinen Fall völlig aufgeben konnte. Musson hatte
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