Mord an der Leine
von
Hannover, das – laut Inschrift – dankbare Bürger ihrem Herrscher errichtet
hatten. Sie musterte die Bronzefigur, die auf einem Pferd thronte. Die Statue
mit dem Federbusch am Hut erinnerte Frauke ein wenig an das Bildnis des
Sarotti-Mohrs, der auf jeder Tafel Schokolade abgebildet war.
König Ernst August hätte dieses Denkmal sicher nicht
gespendet bekommen, hätte er wie einer seiner gleichnamigen Nachfahren an den
türkischen Pavillon auf der Weltausstellung gepinkelt, dachte Frauke.
Tatsächlich schienen sich die Hannoveraner hier zu
verabreden. Gerade eben hatte ein junger Mann ein gleichaltriges Mädchen fest
umarmt. Dann waren beide eng umschlungen Richtung Innenstadt davongegangen.
Zuvor hatten zwei Mädchen ein weiteres ebenso herzlich begrüßt.
Von Weitem sah sie Putensenf, der heftig winkte. Sie
ging ihm entgegen.
»Meine Frau wartet da vorn im Auto«, sagte er. »Das
ist eine ungünstige Stelle.«
Sie folgte ihm zu einem älteren Audi A4, in dem eine
im Alter zu Putensenf passende Frau am Steuer auf sie wartete.
Putensenf quälte sich auf den Rücksitz. »Meine Frau –
Frau Dobermann«, stellte er die beiden einander vor.
Frauke nahm auf dem Beifahrersitz Platz.
»Schön, Sie kennenzulernen«, sagte Frau Putensenf.
Die mittellangen, in Wellen gelegten kastanienbraunen
Haare waren gefärbt. Sonst wären graue Strähnen sichtbar gewesen, dachte
Frauke. Lachfalten lagen um die Augenwinkel, weitere, die ein sicher über
fünfzigjähriges Leben ins Gesicht eingegraben hatte, waren durch eine sorgsame
kosmetische Pflege vor dem Verlassen des Hauses verdeckt worden. Brille,
Ohrringe und das dezente Rouge auf den Wangen unterstrichen den Eindruck einer
gepflegten Frau, die aber keine Anstrengungen unternahm, die Lebensjahre zu
vertuschen.
Sie steuerte das Fahrzeug routiniert durch den dichten
Verkehr. Mittlerweile war Frauke so weit mit den Örtlichkeiten vertraut, dass
sie das Neue Rathaus erkannte, das Innenministerium an der Lavesallee und das
zu Zeiten der Gründung zukunftsweisende Ihme-Zentrum, das heute aber einen
weniger guten Ruf genoss.
Frauke fragte nicht nach dem Ziel. Das Ehepaar
Putensenf hätte es ihr ohnehin nicht verraten.
Frau Putensenf war auf Nebenstraßen ausgewichen und
durchfuhr ein gewachsenes Wohngebiet.
»Das ist Linden-Süd«, erklärte sie, bevor die Straße
über den Westschnellweg hinwegführte. Kurz darauf hatten sie ihr Ziel erreicht.
»Ein Jazz-Club?«, fragte Frauke ein wenig erstaunt,
als sie auf dem Parkplatz hielten, wo die Plane eines orangefarbenen Anhängers
auf den Zielort hinwies. Gegenüber einem eigentümlichen Gebäude, dessen
Bedeutung sich Frauke auch auf den zweiten Blick nicht erschloss, residierte
der Jazz-Club Hannover in einem von einem rustikal belassenen Park umgebenen
Haus.
»Ich hoffe, Sie mögen es«, sagte Frau Putensenf.
»Lassen Sie sich überraschen. Jakob und ich lieben es. Im Park finden übrigens
auch Veranstaltungen statt.«
Ein paar Stufen führten zu einer schwarzen Tür hinab.
Der poppige Baldachin über dem Eingang bildete den Auftakt für das im gleichen
Orange gehaltene Etablissement mit seinen verschachtelten Räumen, die teilweise
eher Nischen glichen.
Putensenf steuerte einen Tisch in der Nähe der Bühne
an, auf der ein großer Flügel stand.
In den engen Räumen herrschte ein hoher Geräuschpegel.
Leute unterhielten sich, es wurde gelacht, gescherzt und auch quer durch den
Raum gerufen. Viele Menschen aus dem Publikum schienen das gemeinsame Interesse
an dieser Musik zu teilen und kannten sich.
»Hallo«, sagte ein hagerer Mann mit eingefallenen
Wangen und struppeligem Rauschebart zum Ehepaar Putensenf, als er den Tisch
passierte.
Jemand tippte Frau Putensenf von hinten auf die
Schulter. »Hat es noch geklappt?«, fragte eine Frau mit einem runden
Vollmondgesicht und sagte: »Prima«, nachdem Frau Putensenf ihr mit »Wir haben
noch Glück gehabt« geantwortet hatte.
Wie auf Kommando erstarb die Geräuschkulisse, als der
Pianist eintrat. Er verharrte einen Moment am Flügel und verneigte sich, um den
Beifall der Gäste über sich ergehen zu lassen. Dann setzte er sich an das
Instrument, ließ dreimal in der Luft seine Hände über die Tastatur gleiten,
schüttelte seine Finger demonstrativ aus, schlug mit dem rechten Fuß zweimal
auf den Fußboden, murmelte dabei sicht-, aber unhörbar: »Drei – vier«, und
hämmerte ansatzlos in atemberaubender Geschwindigkeit in die Tasten.
Frauke war sprachlos. Es war
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