Mord an der Leine
Tatort.« Er zeigte auf einen
Aschenbecher, der bisher von einem aufgeschlagenen Ordner verdeckt war. Darin
lag eine inzwischen erloschene Zigarette, von der ein paar Züge geraucht worden
waren, die zweite Hälfte aber im Aschenbecher verglommen war. Am Filteransatz
waren Spuren von Lippenstift zu erkennen. Neben dem Aschenbecher lagen eine
angebrochene Zigarettenpackung und ein Einwegfeuerzeug.
»Was ist hier geschehen?«, überlegte Frauke laut.
»Manuela Tuchtenhagen ist zur Arbeit erschienen. Sie hat ihre Jacke ausgezogen,
sich an den Schreibtisch gesetzt und sich eine Zigarette angezündet. Während
des Rauchens ist sie unterbrochen worden. Irgendetwas hat sie veranlasst, ihren
Schreibtisch zu verlassen und in Manfredis Büro zu gehen. Dort hat sie ihren
Chef erschlagen aufgefunden. Dann ist sie geflüchtet.«
»Eine gewagte These«, erwiderte Richter. »Manfredi
könnte sie auch zu sich gerufen haben. Dann kam es zum Streit, und sie hat ihn
erschlagen.«
Frauke lächelte spöttisch. »Weil Frauen standardmäßig
einen Fleischklopfer mit sich herumtragen. Wenn Manfredi sie zu sich gerufen
hat, dann hätte sie entweder ihre brennende Zigarette mitgenommen oder, falls
er das nicht mochte, den Stummel ausgedrückt. Nein. Das muss anders gewesen
sein.«
»Wollen Sie sich nicht lieber auf die Fakten
verlassen, anstatt sich als Hellseher zu produzieren?«, mahnte Richter.
»Moment.« Sie verließ den Raum und kehrte kurz darauf
zurück. »Manfredi war auch Raucher. Seine Utensilien liegen auf seinem
Schreibtisch. Außerdem hat er deutlich erkennbare Nikotinspuren an der linken
Hand. Ihn hätte es folglich nicht gestört, wenn seine Mitarbeiterin ihn mit
brennender Zigarette in seinem Büro aufgesucht hätte. Außerdem haben wir seine
Leiche vor dem Schreibtisch gefunden. Es wäre doch wahrscheinlicher – wenn er
sie zu sich gerufen hätte –, dass er hinter dem Schreibtisch gesessen hätte.
Aber das sind alles nur Vermutungen. Da stimme ich Ihnen zu. Das Beste wird
sein, wir befragen Frau Tuchtenhagen. Vielleicht erfahren wir dann, was hier
vorgefallen ist.«
»Tun Sie das«, knurrte Richter. »Und nehmen Sie
Madsack mit. Die beiden anderen brauche ich hier vor Ort.«
Auf der Treppe stieß sie mit Lars von Wedell zusammen.
»Mein erstes Tötungsdelikt«, verkündete der junge Kommissar strahlend, und
Frauke vermeinte, fast ein Glühen der Wangen zu erkennen.
Es regnete immer noch, und das trübe Wetter schien
sich auf das Gemüt der Autofahrer niederzuschlagen.
»Wenn ein paar Tropfen vom Himmel fallen, bricht der
Verkehr bei uns in Hannover häufig zusammen«, erklärte Nathan Madsack und ließ
sich nicht aus der Ruhe bringen. Die deutlich spürbare Aggressivität der
anderen Verkehrsteilnehmer färbte nicht auf ihn ab.
Frauke beobachtete ihren neuen Kollegen von der Seite.
Madsack hatte sich hinter das Steuer des Mercedes der A-Klasse gezwängt.
Zwischendurch warf er Frauke einen Seitenblick zu.
»Möchten Sie auch?«, fragte er und angelte aus der Seitenablage einen
Schokoladenriegel hervor.
»Nein danke.«
Geschickt öffnete er die Verpackung mit einer Hand und
den Zähnen und schob den mit Karamellcreme gefüllten Riegel stückchenweise aus
der Umhüllung in den Mund. »Meine kleine Zwischenmahlzeit«, erklärte er. Es
klang fast wie eine Entschuldigung.
Routiniert steuerte Madsack durch den dichten Verkehr.
»Es ist interessant, wie Sie sich quasi aus dem Nichts in unsere Teamarbeit
eingefügt haben«, sagte er nach einer Weile. »Lars von Wedell ist auch neu,
während wir anderen seit zwei Jahren zusammenarbeiten.« Er unterbrach sich
kurz, um sich auf die aktuelle Verkehrssituation zu konzentrieren. »Bernd
Richter werden Beziehungen nach oben nachgesagt. Es wäre aber ungerecht, ihn
als Protektionskind zu bezeichnen. Bisher hat er solide seine Arbeit erledigt.
Ich habe den Eindruck, dass er darin aufgeht.«
»Hat er keine Familie? Keine Interessen?«
»Bernd ist geschieden. Eine Tochter lebt bei der
Mutter, die wieder mit jemandem zusammen ist – wie man heute sagt.« Madsack überlegte
einen Moment. »Von sonstigen Interessen weiß ich nichts.«
»Und Putensenf?«
Nathan Madsack lachte leise. »Der ist ein bellender
Kettenhund. Ich glaube, er ist manchmal frustriert, weil ihm im Laufe seines
Berufslebens immer wieder junge Leute vor die Nase gesetzt wurden. Jakob hat
eine Berufsausbildung absolviert und sich bei der Polizei hochgedient. Durch
die leidige Laufbahnordnung steigen junge
Weitere Kostenlose Bücher