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Mord an der Mauer

Mord an der Mauer

Titel: Mord an der Mauer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: L Keil
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Peter Fechters Tod das Thema Nummer eins im Westteil Berlins; sein Name wird jedoch noch nicht genannt. Sämtliche Zeitungen berichten auf der Titelseite und zeigen die Aufnahmen von Bera oder Standfotos aus Ernsts Film. »Flüchtling niedergeschossen und sterbend liegen gelassen«, titelt die Welt . »Gestern 14 Uhr 12: Mord an der Mauer«, schreibt die BZ . Der Tagesspiegel wählt die Schlagzeile: »Unmenschlichkeit an der Mauer. Vopo ließ angeschossenen Flüchtling eine Stunde ohne Hilfe liegen«. Den Begriff »Unmenschlichkeit« verwendet auch der Abend . Die Berliner Morgenpost zitiert den Ruf des Opfers: »›Helft mir doch, helft mir doch!‹«, und fügt hinzu: »Vopo-Mörder ließen niedergeschossenen Flüchtling an der KZ-Mauer verbluten. Ulbrichts KZ-Schergen haben einen neuen Mord auf ihr Gewissen geladen.« Die emotional aufgeheizte Sprache entspricht der Stimmung. Im Ausland macht der Fall Fechter ebenfalls Schlagzeilen bis nach Japan und in die USA, selbst die New York Times berichtet. Die Zeitung Morgenposten in Oslo kommentiert sarkastisch: »In kommunistischen Systemen ist es eine gute Sache, Mitbürger niederzuschießen, die den Wunsch haben, von diesem System loszukommen.«

    Im Gegensatz dazu schenken die DDR-Zeitungen dem Fall Fechter zunächst kaum Beachtung. Auf einer hinteren Seite druckt das Neue Deutschland am 18. August eine nur 17 Zeilen lange Erklärung des Innenministeriums ab, die nahezu alle Tatsachen verfälscht. Angeblich hätten »zwei flüchtende Verbrecher die Staatsgrenze der Deutschen Demokratischen Republik nach West-Berlin in der Nähe der Zimmerstraße gewaltsam zu durchbrechen« versucht, wobei sie von West-Berliner Polizisten aktiv unterstützt worden seien. Da die Flüchtenden auf wiederholte Aufforderungen und Warnungen durch Angehörige der Grenzsicherungsorgane nicht reagierten, »musste von der Schusswaffe Gebrauch gemacht werden. Während einer der Verbrecher nach West-Berlin entkommen konnte, ist der andere seinen Verletzungen im Krankenhaus erlegen.« Um zu klären, wer die Flüchtlinge eventuell unterstützt hat, befragen Kriminalpolizisten früh um sechs Uhr auf der Baustelle Unter den Linden den Bauleiter und seinen Stellvertreter. Sie lassen sich die Spinde von Fechter und Kulbeik zeigen: Sämtliche Papiere und Kleidungsstücke sind noch da. Anzeichen für eine »vorbereitete Republikflucht« gibt es nicht. Die Ermittler nehmen alles mit, dazu die Personalakten. Kulbeik ist inzwischen zur Dauerfahndung ausgeschrieben, ein Haftbefehl beantragt.
    Gisela Geue erfährt durch ihre Mutter am frühen Morgen von Peters Tod. Dass er in den Westen fliehen wollte, kann sie nicht fassen, was jedoch nicht der einzige Schock bleibt: Noch am selben Samstagvormittag kommt eine Abordnung ihres Betriebes vorbei, der auf Außenhandel spezialisiert ist. Kaum haben sich die Kollegen gesetzt, eröffnen sie Gisela Geue: »Du brauchst nicht mehr zu kommen, du bist entlassen. Der Betrieb distanziert sich von der Tat deines Bruders.« Die Kündigung haben sie mitgebracht, sie ist vordatiert – offenkundig soll der Zusammenhang verschleiert werden. Gisela Geue unterschreibt, ihr bleibt keine Wahl. Auch Jürgen Remmert erfährt vom Schicksal seines Cousins Peter Fechter. Remmert geht mit einer schwarzen Armbinde zur Arbeit, wo ihm die Parteisekretärin über den Weg läuft und fragt, was passiert sei. »Die haben meinen Cousin an der Mauer einfach abgeknallt«, antwortet Remmert patzig. Eine Stunde später wird er abgeholt. Allerdings ergibt das Verhör nichts, der Cousin hatte keine Kenntnis von den Fluchtplänen Fechters. Er darf wieder nach Hause. Ähnlich ergeht es Renate Pietsch. Ihren besorgten Eltern erzählt sie, warum sie die ganze Nacht nicht nach Hause gekommen ist. Bei der Entlassung haben die Stasileute ihr noch einen speziellen Abschiedsgruß mitgegeben: »Das ist ein Verlobungsgeschenk des Staates, das sollte Ihnen eine Lehre sein.« Wenige Stunden später kommt auch Wolf-Dieter Zupke frei. Er muss eine Erklärung unterschreiben, wonach er korrekt behandelt wurde und Stillschweigen bewahrt. Zu Hause angekommen, bricht er die Zusage und weiht seine Eltern ein. Fechters Leichnam ist unterdes im Gerichtsmedizinischen Institut der Humboldt-Universität obduziert worden, von Institutsleiter Otto Prokop persönlich. Im Sektionsbuch bekommt der Fall die Nummer 55.462. Ausführlich beschreibt Prokop in seinem Protokoll die Verletzungen, die durch einen einzigen Schuss

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